Digitale Sicherheit für Journalisten: „Wir sollten es Überwachern nicht zu einfach machen“  | Regionen | DW | 10.09.2021
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Regionen

Digitale Sicherheit für Journalisten: „Wir sollten es Überwachern nicht zu einfach machen“ 

In Myanmar, wie in vielen anderen Ländern, arbeiten Journalisten in einem feindlichen Umfeld. Angesichts von Überwachung und Bedrohung gewinnt das Thema digitale Sicherheit an Bedeutung. 

Myanmar Proteste nach dem Militärputsch in Myanmar

Viele Menschen in Myanmar haben die Überwachung während der Demonstrationen im Februar 2021 unterschätzt

Als sich ein hochrangiger Regierungsbeamter nach ihrer Arbeit erkundigte, war Anrike Visser klar: Auch sie war in das Blickfeld der Militärjunta geraten. Das war im Februar 2021, wenige Tage nach dem Militärputsch in Myanmar. Visser hat das Land inzwischen verlassen. Für sie, wie für die meisten anderen unabhängigen Journalisten, wäre es zu gefährlich gewesen, zu bleiben.  

Visser ist eine niederländische Journalistin und Gründerin von Global Ground Media, einer Onlinepublikation, die sich auf Investigativjournalismus in Asien spezialisiert hat. Als Trainerin berät sie Medienunternehmen außerdem beim Thema digitale Sicherheit. „Überwachung fängt in den seltensten Fällen im digitalen Raum an“, erklärt sie. Autoritäre Systeme, wie das in Myanmar, wissen meist schon vorher, wen sie beobachten müssen. Ein kritischer Artikel, ein sorgloser Post in den sozialen Medien reichen aus, um auf ihre Liste zu geraten. „Und das Zeitfenster zwischen Überwachung und Verhaftung ist oft kurz“, sagt sie. „Der erste, wichtige Schritt für die eigene Sicherheit ist, sich dieser Gefahr bewusst zu sein“.  

Myanmar Proteste nach dem Militärputsch in Myanmar

Anrike Visser beschreibt, dass während die Demonstrationen stattfanden, die Überwachung immer weiter zunahm

Der Überwachungsstaat rüstet auf 

Viele Menschen in Myanmar hätten dies anfangs allerdings unterschätzt. „In den Tagen nach dem Putsch gab es auf den Straßen volksfestartige Szenen. Menschen fanden sich in kleinen Gruppen zusammen, demonstrierten, gaben Interviews und schwenkten Banner“. Zu Anrike Vissers Entsetzen tätowierten sich manche sogar den Drei-Finger-Gruß – das Symbol des Protests – auf den Arm. Im Hintergrund rüstete derweil der Überwachungsstaat auf.  

Wie Mitarbeiter der örtlichen Telekommunikationsanbieter später anonym berichteten, hatte der Staat bereits wenige Monate nach Parlamentswahlen im November 2020 ein umfassendes Überwachungssystem installiert, das seitdem den gesamten Internetverkehr, alle Anrufe und Chatnachrichten absucht und auch den internationalen Zahlungsverkehr beobachtet. „Die gesamte Bevölkerung Myanmars, 52 Millionen Menschen, werden überwacht – das ist die neue Realität“, sagt Visser.  

Seit dem Putsch sind 95 Journalistinnen und Journalisten verhaftet worden und in den Gefängnissen der Junta verschwunden, berichtet Visser. Die wenigen im Land verbliebenen unabhängigen Medienschaffenden schlafen meist nicht mehr zu Hause. Einigen gelang es in den Großstädten unterzutauchen oder sich in den Gebieten der so genannten „ethnic armed groups“ zu verstecken. Durch die ständige Bedrohung und Überwachung sei ihre Arbeit extrem erschwert, sagt Anrike Visser. „Es gibt aber Dinge, die jeder tun kann, um sich zu schützen – zumindest bis zu einem gewissen Grad.“ 

Myanmar Proteste nach dem Militärputsch in Myanmar

Insgesamt 95 Journalisten wurden verhaftet, andere befinden sich in den Gefängnissen der Militärjunta, so Anrike Visser

Wissen, was zu tun ist, wenn die Junta an die Tür klopft  

Visser betont, dass es keine allgemeingültigen oder allumfassenden Sicherheitskonzepte gibt – entscheidend sei immer die persönliche Situation und der lokale Kontext. Es gebe aber einige „Basics“, die immer helfen: „Keine unverschlüsselte Kommunikation, sei es über E-Mail, Messenger Apps oder Telefonate – und keine Kontakte, Bilder oder Dateien auf dem Handy“, rät sie.  

Ein zweites „sauberes“ Mobiltelefon, starke Passwörter, gesicherte Festplatten oder verschlüsselte Cloudspeicher seien ebenfalls sinnvoll – und ein Sicherheitsplan, der im Notfall greift. „Es ist super wichtig, zu wissen, was zu tun ist, wenn die Junta an die Tür klopft.“ Zumindest in Myanmar gebe es nur ein kleines Zeitfenster, in dem Anwälte, Familienmitglieder oder andere Unterstützer eingreifen könnten, damit ein Verhafteter nicht von der Polizeistation in ein Folterzentrum gebracht wird. 

Anrike Visser rät Medienschaffenden, sich auf ein Codewort zu verständigen, das innerhalb von Sekunden an vereinbarte Kontakte geschickt werden kann. Zudem sei es ratsam, im Ernstfall alle Datenträger und Geräte zu zerstören. „Schützen sie sich so gut sie können“, rät sie ihren Klientinnen und Klienten. „Tun Sie das nicht nur für sich, sondern auch für Ihre Familie, ihre Kollegen und Informanten.“ Denn im Zuge einer Überwachung oder Verhaftung käme es häufig zu Kettenreaktionen. Direkte Kontakte ebenso wie Kontakte der Kontakte seien dann gezwungen, unterzutauchen. 

Auch wenn sie im Moment nicht vor Ort arbeiten kann: Anrike Visser schult weiterhin Journalisten, Menschenrechtsverteidiger und Mitarbeiter internationaler NGOs in Myanmar und anderen Ländern. Mit der DW Akademie in Myanmar hat sie ebenfalls bereits mehrfach zusammengearbeitet. Die DW Akademie setzt sich für die Sicherheit von Medienschaffenden und Partnerorganisationen ein, die in einem feindlichen Umfeld arbeiten – ein Thema, das leider immer mehr an Bedeutung gewinnt. „In vielen Ländern der Welt ist es derzeit nicht einfach, Journalist oder Journalistin zu sein“, sagt Anrike Visser. „Für uns gibt es keine 100-prozentige Sicherheit. Wir müssen aber etwas tun, um es unseren Überwachern nicht zu einfach machen.“