In Tunesien soll eine Wahrheitskommission Menschenrechtsverletzungen aufarbeiten. Doch Kommunikationsprobleme erschweren die Arbeit; die Medien sind skeptisch. Beratungen sollen den Weg ebnen.
Jahrzehntelange Unterdrückung und Folter sollen nun ans Licht gebracht werden - so das Mandat der tunesischen Wahrheitskommission
Im Dezember 2014 wurde die Wahrheitskommission IVD (Instance Vérité et Dignité) in Tunesien als unabhängige Institution eingerichtet, um die Übergangsphase zu einem demokratischen Rechtsstaat zu begleiten. Es geht darum, Gräueltaten aufzudecken, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen und Menschen zu rehabilitieren, die während der Diktatur inhaftiert, misshandelt oder gefoltert wurden. So immens die Aufgabe, so schwierig gestaltet sich auch die praktische Arbeit der Kommission. Interne Auseinandersetzungen, Widerstände politischer Gegner und personenbezogene Anfeindungen stehen oft mehr im Fokus der Öffentlichkeit als die Inhalte.
Klaudia Pape ist Projektmanagerin für Medientrainings in Tunesien und gehört zu einem Team von Beratern und Trainern der DW Akademie, das die Mitglieder der IVD seit Anfang 2016 in einem vom Auswärtigen Amt geförderten Projekt coacht und berät.
Welche Bedeutung hat die IVD für die Tunesier?
Klaudia Pape: Die Aufgabe der IVD ist gewaltig – zumal es ja auch immer darum geht, ob Tunesien tatsächlich den Übergang zu Demokratie und Rechtsstaat bewältigen wird. Die Opfer der Diktatur erwarten Gerechtigkeit und Wiedergutmachung – nicht nur im materiellen Sinne. Sie wollen vor allem, dass ihr Leid anerkannt, ihnen ihre Würde zurückgegeben und ein Stück Geschichte Tunesiens ans Licht gebracht wird. Daher steht die Kommission im Rampenlicht, viele Erwarten werden an sie geknüpft. Bei dieser Aufgabe begleiten wir die Mitglieder.
Was genau beinhaltet diese Begleitung?
Wir bieten Trainings und Beratungen an, angefangen vom klassischen Auftritt vor der Kamera bis hin zur Entwicklung einer Kommunikationsstrategie. Wir beraten die Mitglieder beispielsweise darin, wie sie geschlossen an die Öffentlichkeit treten – mit klaren Botschaften, die von der gesamten Kommission getragen werden. Wir arbeiten mit ihnen daran, Anfragen der Presse und Zivilbevölkerung professionell zu bearbeiten und Abläufe zu optimieren.
Vertrauen ist ein entscheidender Punkt – wie kann es aufgebaut werden, Ihrer Meinung nach?
Kontinuität ist ein wichtiger Faktor und das ist ein Problem bei der IVD: Häufige Neubesetzungen und eine uneinheitliche Kommunikation stehen der Vertrauensbildung im Weg. Damit die IVD vorankommt, benötigt sie Akzeptanz und Rückhalt. Die wiederum kann sie erlangen, wenn sie mit einheitlichen, klaren Botschaften auftritt, um ihre für Tunesien so wichtige Aufgabe verständlich der Öffentlichkeit zu vermitteln. Die Bedeutung von Kommunikation wird hier sehr deutlich.
Können Sie das Verhältnis von Presse und Öffentlichkeit gegenüber der IVD beschreiben?
Die IVD muss viele Hindernisse überwinden. Es gibt Kreise in Politik und Wirtschaft, die überhaupt kein Interesse daran haben, dass die Gräueltaten der Vergangenheit aufgedeckt werden. Und leider haben sich die tunesischen Medien eher auf Themen wie interne Streitigkeiten eingeschossen. So dass es bei IVD-Presseterminen oft mehr um die Schwierigkeiten geht als um Aufarbeitung der Vergangenheit und Versöhnung in der Gegenwart. Entsprechend angeschlagen ist auch die öffentliche Meinung.
Was raten Sie, um genau diesen Reibungsverlust zu verhindern?
Wir raten der Kommission zum Beispiel, eventuelle interne Meinungsverschiedenheiten rasch zu klären und aus dem Weg zu räumen, damit diese nicht das eigentliche Vorhaben überlagern. Wir raten ihr auch, aktiv ihre eigenen Themen zu platzieren, selbst Pressetermine anzuberaumen, Presseerklärungen zu verschicken, Statements zu verfassen und somit ihre Arbeit auf die Agenda zu setzen. Das ist in den vergangenen Wochen auch immer wieder gelungen: vor kurzem hat die IVD zum Beispiel auf einer Buchmesse Diskussionsrunden organsiert, in denen ausgiebig von den Geschichten der Opfer die Rede war.
Die Arbeit der IVD wurde für vier Jahre mandatiert, zwei sind nun schon vorbei. Was ist erreicht, was bleibt zu tun?
Die IVD hat jetzt über 62.000 Dossiers aufgenommen: alle Opfer der Diktatur waren aufgerufen, sich zu melden und das Unrecht zu schildern, das ihnen angetan wurden. Weite Teile des Landes konnte die IVD nur durch mobile Büros erreichen. Da sind Mitarbeiter durch das ganze Land gereist, um die Kommission vorzustellen und Bürger zu ermutigen, ihre Fälle einzureichen. Viele waren sehr zögerlich, vor allem Frauen. Die Angst, über Vergewaltigung und Folter zu sprechen, ist bei ihnen besonders groß. Dass sie geredet haben, ihnen zugehört wurde und sie ernst genommen wurden – das ist schon ein wichtiger Schritt. Aber natürlich geht es auch darum, dass die Opfer finanziell entschädigt werden. Jetzt stehen demnächst erst einmal die öffentlichen Anhörungen an. Die Mitglieder der IVD sagen: um eine Demokratie aufzubauen, müssen die Tunesier wissen, wie die Diktatur funktioniert hat. Damit es nie wieder passiert.