„In der Mongolei war Corona eine Krise der Pressefreiheit, bevor sie zu einer Gesundheitskrise wurde“, sagt die Direktorin des Mongolischen Medienrats. Sie erklärt, warum das Crisis Communication Chapter so wichtig ist.
DW Akademie: Warum würden Sie die Corona-Pandemie als eine Krise der Freiheitsrechte bezeichnen?
Gunjidmaa Gongor, Direktorin des Mongolischen Medienrats: Die Mongolei hat ihre Grenzen - als ein direkter Nachbar Chinas - schon Anfang 2020 geschlossen, viel früher als die meisten Länder. Die Regierung rief eine „Lage erhöhter Bereitschaft“ aus und brachte Gesetze auf den Weg, mit dem Ziel ein Kommunikationsmonopol des Staates in der Krise sicherzustellen. Das führte zu zensurartigen Effekten. Faktisch war es den Medien verboten, in ihrer Berichterstattung andere, als offizielle Quellen zu verwenden. Das alles geschah, ohne dass wir tatsächlich eine Epidemie im Lande gehabt hätten. Die ersten Corona-Übertragungen innerhalb der Mongolei ereigneten sich nämlich erst im November 2020.
Wie ging es den Medienschaffenden in dieser Situation?
Es ging ihnen schlecht, weil sie faktisch kaltgestellt waren. Auch waren sie von existenzgefährdenden Geldstrafen bedroht. Regierung und Medien standen sich in offener Feindschaft gegenüber. Auf den täglichen Pressebriefings des nationalen Krisenstabs wurden kaum Fragen zugelassen. Und die Polizei zitierte Journalistinnen und Journalisten zum Verhör, nachdem sie eigene Recherche-Ergebnisse veröffentlicht hatten – selbst, wenn diese nachweislich korrekt waren. Außerdem widersprachen sich in vielen Fällen die Meldungen unterschiedlicher Regierungsstellen. Die Medien schrien „Zensur“ und die Regierung schrie „Verleumdung“. Und man konnte sich nicht mehr auf grundlegende Regeln einigen – wie eben das Recht der Öffentlichkeit auf Information aus verschiedenen Quellen, aber auch das Recht von den an Corona erkrankten Menschen, ihren Namen nicht in der Zeitung oder in den Sozialen Medien zu lesen.
Ein LKW-Fahrer galt als erster Überträger des Coronavirus innerhalb der Mongolei. Soziale und journalistische Medien teilten Foto und persönliche Informationen des Betroffenen, seiner Familie, seiner Arbeitskollegen und Nachbarn.
Kann man sagen, dass das CCC als ein Projekt zur Stärkung der Zusammenarbeit von staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren für die Mongolei zur rechten Zeit kam?
Tatsächlich gab es einen Wendepunkt in der Diskussion, nachdem im Januar 2021 ein privater Fernsehsender ein Video verbreitet hatte, in dem eine junge Mutter und ihr Neugeborenes in eiskalter Nacht aus einer Entbindungsklinik abgeführt und in eine Corona-Quarantänestation gebracht wurde. Es kam zu Protesten im Stadtzentrum von Ulaanbaatar und in der Folge zum Rücktritt der gesamten Regierung. Spätestens da wurde allen Beteiligten klar, dass etwas grundsätzlich schief lief in der Krisenkommunikation unseres Landes. Wir verstanden, dass wir zusammenarbeiten mussten, um Vertrauen wiederherzustellen, damit die Menschen im Land den „guten“ Informationen glauben, die ja durchaus vorhanden waren und ihnen in der Pandemie helfen konnten.
'Seid menschlich!' - Protestplakat gegen den staatlichen Umgang mit Corona-Betroffenen auf dem Sukhbaatar-Platz im Zentrum von Ulaanbaatar
Erzählen Sie uns bitte, wie das mongolische Crisis Communication Chapter (CCC) konkret aussieht und wie es arbeitet.
Wir haben alle eingeladen, die Verantwortung im staatlichen Krisenmanagement zu tragen: Das Gesundheitsministerium, das nationale Zentrum für Infektionskrankheiten, den nationalen Krisenstab. Unser Projekt hat in Zusammenarbeit mit staatlichen Akteuren, Journalisten und der Zivilgesellschaft ein Pilotprojekt mit einer Gemeinde in einem Jurtenviertel der Hauptstadt Ulaanbaatar durchgeführt. Gemeinsam mit der DW Akademie wurde ein journalistisches Trainingsprogramm entwickelt, das Themen wie Fact-Checking und Storytelling für verschiedene Kanäle abdeckt. Ein weiterer Schwerpunkt war die Frage, wie professionelle PR die Medienschaffenden unterstützen kann (und umgekehrt).
Wie erreicht das CCC die Menschen konkret?
Es nutzt alle nur möglichen Medien und Verbreitungswege. Soziale Plattformen - z.B. Facebook Live-Events - helfen, offene Fragen zu Covid direkt vor Ort zu thematisieren. Außerdem hat die Gruppe Flugblätter, Infoplakate und Fragebögen erstellt, denn insbesondere unsere CCC-Mitglieder vor Ort liefern auch wichtige Informationen für die journalistischen und staatlichen Vertreter. Diese „Zwei-Wege“-Kommunikation macht den Unterschied aus zur üblichen Informationsarbeit der Regierung und der Medien, die sich nur auf eine Außen-Ansicht der Probleme stützen kann. Klar ist: Ein solches Projekt kann nur erfolgreich sein, wenn es einen Mehrwert für die Menschen schafft. Und darauf konzentrieren wir uns.
Wie sehen Sie die Zukunft des Projekts?
Der nationale Krisenstab zeigt Interesse, eine CCC-Struktur in das staatliche System des Krisenmanagements zu integrieren. Das wäre insofern ein Riesenerfolg, als sich dann Verantwortungsträger und Experten in künftigen Krisen auf ein Konzept stützen könnten, das eines garantiert: Dass sich nämlich Krisenkommunikation nicht auf Konkurrenz um Wahrheiten und Interessen ausrichtet, sondern allein auf die Bedürfnisse der Menschen.
Dieses Projekt ist Teil der Initiative "Transparenz und Medienfreiheit - Krisenresistenz in der globalen Pandemie" der DW Akademie und des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ).