Coole digitale Projekte: Neun Sätze, die misstrauisch machen sollten | Start | DW | 11.08.2016
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Coole digitale Projekte: Neun Sätze, die misstrauisch machen sollten

Die digitale Welt ist Ort der unbegrenzten Möglichkeiten. Aber das Risiko, mit digitalen Projekten zu scheitern, ist ebenso groß. Unser Listicle zeigt, an welchen Stellen der Entwicklung man hellhörig werden sollte.

Steffen Leidel, Kommissarischer Leiter Digital und Wissensmanagement, hat bei der DW Akademie schon an vielen digitalen Projekten mitgewirkt, etwa in Trainings für Journalisten in Lateinamerika oder in der Ausbildung von Volontären für die Deutsche Welle. Zuletzt hat er gemeinsam mit Kollegen eine Digitalstrategie für die DW Akademie entwickelt, die Ziele und Wege aufzeigt, Meinungsfreiheit in der digitalen Welt zu stärken. Aus seiner Erfahrung gibt er Tipps, was man bei digitalen Projekten beachten sollte.

1. "Lasst uns mal was ganz Neues entwickeln!"
Es ist natürlich toll, etwas von Grund auf Neues auf die Beine zu stellen. Es birgt aber auch hohe Risiken. Eine komplett eigene Software zu entwickeln, ist kompliziert. Letztlich ist es (fast) immer so: Du bist nicht der Erste, der sich das ausgedacht hat. Die digitale Welt ist voll von gut entwickelten Ideen. Darauf kann man aufbauen. Das Prinzip von Open Source ist zum Beispiel, dass man auf bereits vorhandene Software oder digitale Lösungen zugreifen kann und die dann gemeinsam mit der Community weiterdenkt. Zu adaptieren, ist kein Ideenklau. Alles ist ein Remix.

2. "Wir brauchen 'ne schicke App!"
Oft gibt es das Missverständnis, dass eine ansehnliche technologische Lösung Nutzer auf magische Weise anzieht. Die App Stores sind jedoch voll von schicken Apps. Viele werden aber einfach nicht genutzt, weil sei am Ende doch völlig an den Bedürfnissen der Nutzer vorbeigehen. Oder weil sie nicht selbsterklärend sind: Brauchen die Nutzer erstmal eine Bedienungsanleitung, sind sie erbarmungslos - und nutzen die App nicht.
Deswegen setzen wir zunehmend auf Methoden wie Design Thinking. Lösungen denkt man dabei nicht von der Technologie her, sondern von ganz konkreten Nutzerbedürfnissen. Der Nutzer steht im Mittelpunkt, das bedeutet konkret in seine Lebenswelt einzutauchen, wirklich zu verstehen, was motiviert, was frustriert ihn, in welchen technologischen "Ökosystem" bewegt er sich eigentlich. Erst mit diesen Erkenntnissen lassen sich dann angepasste technologische Lösungen entwickeln. Deswegen sollte nicht schon am Anfang eines Projekts feststehen, eine App bauen zu wollen. Das kann eine Lösung sein, muss aber nicht.

3. "Das machen jetzt alle! Das ist der Trend der Stunde..."
Relevante Trends frühzeitig zu kennen und zu bewerten ist wichtig. Trends sind ein guter Einstiegspunkt für neues Denken, für Innovation. Aber im nächsten Schritt sollte man immer fragen: Passt das wirklich zu uns, zum Projektpartner, zu unserem Auftrag? Oder kopiert man es nur, weil andere damit Erfolg hatten? Innovationen sollten maßgeschneidert sein. Bei vielen Medienangeboten habe ich das Gefühl, dass sie nur mitlaufen. Und dann überzeugt das Produkt mich nicht.



4. "Wer soll die Plattform nutzen? Na ja, jeder."

Nur wirklich wenige technologische Lösungen sprechen die Zielgruppe "alle" wirklich an. Die Google-Suche oder Facebook zum Beispiel. Im Arbeitsbereich der DW Akademie ist der lokale Kontext extrem wichtig. Wir machen uns klar, wen wir ansprechen wollen. Und zwar so konkret wie möglich. Zuerst versuchen wir uns eine genaue Vorstellung von den Menschen zu machen, an die sich eine digitale Entwicklung richtet. Dann fragen wir, wie diese Zielgruppe überhaupt Technologien nutzt. Haben die Menschen die nötige Medienkompetenz, eine bestimmte Plattform zu nutzen? Gibt es kulturelle Themen, die dazu führen, dass eine bestimmte Technologie genutzt wird oder eben nicht? Eine digitale Lösung muss an die Lebenswelt Nutzer angepasst sein, für die wir etwas erreichen wollen.

5. "Und dann bauen wir mit unserer Plattform eine Community auf und schaffen damit Dialog!"
Dazu eine kleine Anekdote: Ein Verleger fragte Mark Zuckerberg, wie er es geschafft hat, mit Facebook so eine tolle Community aufzubauen. Er antwortete: Man kann keine Community aufbauen, man kann nur vorhandenen Communities das Tool geben, damit sie sich austauschen können. Die nächste Herausforderung ist dann: Wie gestalten wir diesen Dialog? Technologie schafft nicht automatisch konstruktiven Dialog. Das sieht man daran, wie gesellschaftliche Debatten in Sozialen Netzwerken eskalieren und neue Gräben schaffen. Wenn man Möglichkeiten für Menschen schafft, sich online auszutauschen, können auch negative Dynamiken entstehen. Um einen echten und konstruktiven Dialog zu untersützten, bedarf es oft eines aufwendigen Engagements.

Selbst-Portrait Steffen Leidel, Kommissarischer Leiter Digital und Wissensmanagement, DW Akademie

Steffen Leidel

6. "Wir haben eine klare Deadline für das Projekt, dann ist alles fertig."

Digitalprojekte sind nie fertig. Oft wird der Aufwand für die Umsetzung unterschätzt, während die Möglichkeiten der Technologie überschätzt werden. Ein Teil der Arbeit beginnt erst nach dem Launch. Häufig wird aber nicht mitgeplant, wie es weitergeht, wer sich um Aktualisierungen oder redaktionelle Themen kümmert. Unserem Verständnis nach gibt es den Status "fertig" nicht. Wir wollen bei Projekten nicht den einen großen Wurf machen, wir arbeiten interaktiv. Gemeint ist damit, dass man seine Lösungen erst einmal testet, Feedback einholt und dann anpasst. Immer wieder.

7. "Und wenn wir dann so weit sind, verlinken wir das Projekt einfach auf unserer Webseite."
Du kannst wunderbare Sachen entwickeln, aber ohne Strategie, das auch bekannt zu machen, verbleiben viele tolle Dinge in unbekannten Nischen des Netzes. Das ist eines der größten Probleme bei der Umsetzung von Digitalprojekten. Der Aufwand für Werbung wird häufig unterschätzt. Es dominiert die Hoffnung, dass das Projekt so gut ist, dass es von alleine bekannt wird, sich quasi viral verbreitet. Aber dafür muss man eine kritische Masse erreichen. Das ist kein Selbstläufer.

8. "Die Seite hat jetzt Klicks ohne Ende, ein toller Erfolg."
Ja, aber. Klicks sind super, aber eine große Frage ist, wie man eigentlich Erfolg in der digitalen Welt misst. Sind Facebook-Likes oder -Fans wirklich ein aussagekräftiger Indikator für ein gutes Projekt? Oder geht es eher darum festzustellen, welche Wirkung sich in der realen Welt entfaltet? Verändert sich etwas? Ein guter Indikator könnte sein, ob die Idee kopiert wird. Die Antworten, wie man Digitalprojekte am gut evaluiert, suchen wir noch.

9. "Dafür braucht man doch keine Digitalstrategie!"
Das hören wir immer wieder, gerne im Zusammenhang mit Sätzen wie: "Das machen wir schon.", "Wir haben auch schon eine App!" und "Wir entwickeln gerade eine digitale Plattform". Eine Digitalstrategie hilft, sich in der digitalen Welt zu orientieren. Eine gute Strategie setzt Prioritäten. Sie bereitet uns darauf vor, mit dem kontinuierlichen digitalen Wandel umzugehen. Dann hechelt man auch nicht jedem Trend hinterher und wird beliebig - angesichts der schier unendlichen Möglichkeiten. Eine Organisation kann sich damit entscheiden, wer sie in der digitalen Welt ist. Wo liegen die eigenen Stärken? Was können nur wir in der digitalen Welt tun? Einige Unternehmen entwickeln aber auch keine Digitalstrategien mehr: Sie haben eine Unternehmensstrategie, die digital ist.

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  • Datum 11.08.2016
  • Autorin/Autor Steffen Leidel
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