Der erste unabhängige Presserat Myanmars steht in den Startlöchern. Kurz vor Gründung trafen die Mitglieder auf Einladung der DW Akademie Vertreter deutscher und europäischer Presseorganisationen.
Medienpolitische Premiere in Brüssel: Zum ersten Mal sprach ein Vertreter aus Myanmar bei der AIPCE-Konferenz, dem jährlichen Treffen der unabhängigen Presseräte Europas. Der renommierte Journalist Pe Myint schilderte den knapp 80 Teilnehmern aus 28 Ländern, mit welchen Herausforderungen er und seine Kollegen in Myanmar zu kämpfen haben. "Vor den vielen erfahrenen Kollegen zu sprechen war ein besonderer Moment für mich. Wir haben noch einiges zu tun in Myanmar und können von den europäischen Erfahrungen viel lernen", so Pe Myint.
Der vorläufige Presserat in Myanmar besteht derzeit aus 28 Mitgliedern, darunter zehn von der Regierung benannte Vertreter und 18 unabhängige Journalisten, Autoren und Verleger. Anfangs wolle sich der Presserat vor allem um die Änderung der Mediengesetze bemühen, um eine Pressefreiheit in Myanmar langfristig zu garantieren. Außerdem werde es darum gehen, eine Beschwerdestelle für Bürger weiterzuentwickeln, so Pe Myint. Bislang seien beim vorläufigen Presserat 85 Beschwerden über ethisch bedenkliche Berichterstattung eingegangen. "Sicherlich ist diese Zahl im Vergleich mit den europäischen Beschwerdestellen sehr klein. Doch in Myanmar haben die Leser, Hörer und Zuschauer bislang noch keinerlei Erfahrung mit derartigen Verfahren", sagte Pe Myint.
Gleichzeitig äußerte der Journalist in seiner Rede Kritik an der myanmarischen Politik. "Die Regierung behauptet, dass sie Myanmar demokratisiere. Doch viele Regierungsbehörden und Institutionen sind bis heute nicht entsprechend reformiert worden." Die Medienbranche, die seit der Abschaffung der Zensur 2012 zunehmend frei und unabhängig sei, wäre hier viel weiter. Die Politik hinke nicht nur hinterher, sondern gefährde vielmehr neu gewonnene Freiheiten durch sich häufende Verhaftungen von kritischen Journalisten und Verlegern.
Von den Bürgern getragen
Dem künftigen unabhängigen Presserat werde hier eine Brückenfunktion zukommen und das Vertrauen zwischen Journalisten und Regierung bilden, meinte Pe Myint. Ein historischer Moment für die myanmarische Medienlandschaft: "Wir erleben gerade, wie eine neue Medien- und Pressekultur entsteht. Das besondere ist, dass sie diesmal nicht von oben verordnet ist, sondern von den Menschen selbst einfordert und gewollt wird", so Pe Myint. Daher unterstützt die DW Akademie die Gründung des neuen Presserates mit journalistischer Expertise und langfristigen Beratungen, dazu zählt auch die Studienreise nach Brüssel und Berlin.
"Der vorläufige Presserat ist nicht nur ein neues wichtiges Medienselbstregulierungsorgan und eine Beschwerdestelle für Zivilgesellschaft bei unwahrer Berichterstattung, sondern wird trotz seines kurzen Bestehens bereits als Verfasser von Kommentaren zu Mediengesetzen und als Watchdog für die Erhaltung und Entfaltung der Medienfreiheit in Myanmar angesehen", so Isabella Kurkowski, die als Büroleiterin die Projekte der DW Akademie von Yangon aus betreut und Expertin für Medienselbstregulierung ist. "Der Presserat entwickelt sich zu einem glaubwürdigen Gremium, das innerhalb der Zivilgesellschaft, Medien, Journalisten wie auch der Regierung Beachtung findet. Die DW Akademie unterstützt den vorläufigen Rat bei seiner Transformation als Beschwerdeinstanz und stärkt seine Rolle als unabhängige Institution und Garant für Medienfreiheit unter anderem durch Mediendialogveranstaltung mit Justiz, Regierung und Zivilgesellschaft."
Besonders hilfreich auf der Brüsseler Konferenz fanden Pe Myint und seine Kollegen Khin Maung Htay und Chit Win Sein die Workshops zu Medienselbstregulierung und Gerichtsberichterstattung. "Die europäischen Kollegen diskutierten unter anderem die Rolle der Medien beim Pistorius-Prozess – wie neutral war die Presse da wirklich und wie unabhängig dadurch das Gerichtsverfahren? Ich fand diese Diskussion sehr spannend", sagte Khin Maung Htay, Mitbegründer und Geschäftsführer des Medienunternehmens Forever Group, zu dem unter anderen der populäre Fernsehsender MRTV4 gehört. Diese Art des Hinterfragens und der Selbstkritik sowie der stetige Verweis auf die Menschenrechte wünsche er sich auch für die künftige Arbeit des myanmarischen Presserates. Außerdem plant er, ein erstes regionales Arbeitstreffen südostasiatischer Presseräte nach Vorbild der AIPCE-Konferenz in Yangon zu organisieren.
Im Anschluss an die Brüsseler Konferenz reiste die Delegation nach Berlin und besuchte hier die Bundespressekonferenz. "Im Gegensatz zu Pressekonferenzen in Myanmar sind die teilnehmenden Journalisten hier sehr erfahren und stellen kritische Fragen", sagte Fernsehjournalist Chit Win Sein. In Myanmar sei der Großteil der Journalisten sehr jung und unerfahren. Im Gespräch mit Nick Leifert, Vorstandsmitglied der Bundespressekonferenz, diskutierte die myanmarische Delegation anschließend die Vorteile eines unabhängigen Vereins für Regierungspressekonferenzen und gab zu bedenken, dass eine solche Institution in Myanmar trotz der Umbruchstimmung derzeit nicht denkbar wäre. "Unsere Regierung ist noch nicht bereit für eine wirklich freie und unabhängige Presse", sagte Pe Myint.
Die DW Akademie engagiert sich seit 2007 für eine freie und transparente Medienlandschaft in Myanmar. Die Studienreise für Mitglieder des vorläufigen Presserates gehört zu einer Reihe von Projekten, mit der die DW Akademie die Medienselbstregulierung im Land unterstützt. Hierzu zählen eine kontinuierliche Beratung des Presserates, Unterstützung bei der Promotion des neuen Pressekodex, Implementierung wichtiger Mediendialoge zwischen Regierung, Zivilgesellschaft und Medien sowie die Etablierung einer Beschwerdestelle. Darüber hinaus engagiert sich die DW Akademie in einem internationalen Konsortium für die Gründung der ersten unabhängigen Journalistenschule mit Voll- und Teilzeit-Diplomstudiengängen in Myanmar. Weitere Komponente des Engagements der DW Akademie in Myanmar ist die Stärkung der dezentralen Berichterstattung des staatlichen Senders MRTV und dessen Transformation in eine öffentlich-rechtliche Institution durch Beratung in der Organisationsstruktur. Hinsichtlich der bürgernahen Berichterstattung in Myanmar liegt das Augenmerk der DW Akademie im künftigen Aufbau von unabhängigen Bürgermedien. Die langfristigen Projekte werden vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung finanziert.