Journalistenkollegen und Menschenrechtsaktivisten bezeichnen den Prozess als Rache für die journalistische Arbeit der Angeklagten.
Der ehemalige DW Akademie Trainer Andrej Aleksandrow wurde wegen Gründung einer extremistischen Vereinigung und Steuerhinterziehung verurteilt
Am 6. Oktober ist in Minsk der vielbeachtete Prozess gegen Mitarbeitende von BelaPAN, der ältesten unabhängigen Nachrichtenagentur in Belarus zu Ende gegangen. Die Agentur war im Sommer 2021 von der Justiz zerschlagen worden. Menschenrechtsaktivisten und Menschenrechtsaktivistinnen sowie ehemalige BelaPAN Mitarbeitende sind überzeugt, dass dies die Rache für die prinzipielle Haltung der Journalistinnen und Journalisten ist, die Wahrheit zu berichten.
Bei den Angeklagten im Fall BelaPAN handelt es sich um die Herausgeberin und Direktorin der Agentur, Irina Lewshina, den ehemaligen Direktor Dmitri Nowozhilow, den Medienmanager Andrej Aleksandrow und seine Partnerin Irina Zlobina, die er während der Untersuchungshaft geheiratet hat. Der Fall wurde vier Monate lang unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt. Das Urteil: Gefängnisstrafen von 14 Jahren für Andrej Aleksandrow, neun Jahren für Irina Zlobina, vier Jahren für Irina Lewschina und sechs Jahren für Dmitri Nowozhilow.
Am 18. August 2021 durchsuchten Sicherheitskräfte das Büro und die Wohnungen der BelaPAN Mitarbeiter, sperrten Websites, beschlagnahmten Server und nahmen mehrere Journalisten und Journalistinnen, einen Buchhalter sowie die Leitung der Agentur fest. Lewshina und Nowozhilow landeten in Untersuchungshaft. Zunächst wurden sie der Teilnahme an illegalen Protestaktionen beschuldigt, dann wurde ein neuer Artikel hinzugefügt - der der Steuerhinterziehung.
Am 12. November 2021 wurde BelaPAN als extremistische Vereinigung eingestuft, woraufhin die Anklage geändert wurde: Irina Lewshina wurde nun wegen der Gründung einer extremistischen Vereinigung angeklagt. Auch Dmitri Nowozhilow wurde zusätzlich zur Anklage wegen Gründung einer extremistischen Vereinigung das Nichtzahlen von Steuern zur Last gelegt.
Der Pressedienst des Untersuchungskomitees berichtete, dass die Leitung der Agentur von 2015 bis 2021 Steuern in Höhe von 499.000 belarussischen Rubel (etwa 170.000 Euro, Anm. d. Red) hinterzogen habe. Darüber hinaus sollen der Untersuchung zufolge 18 ausländische Organisationen die Nachrichtenagentur seit 2014 verdeckt mit mindestens 1,6 Millionen US-Dollar finanziert haben.
Kritische Journalisten in Belarus sehen sich mit zunehmend hartem Durchgreifen des Regimes konfrontiert
Der Medienmanager Andrej Aleksandrow war von 2014 bis 2018 stellvertretender Direktor von BelaPAN und hat in der Vergangenheit als Journalist für DW Russian und Trainer für die DW Akademie gearbeitet. Er und seine Frau Irina Zlobina wurden Anfang 2021 festgenommen. Ihnen wird die Finanzierung von Protesten vorgeworfen. Sie sollen geholfen haben, Geldstrafen für bei Demonstrationen festgenommenen Personen zu zahlen.
Aleksandrow wurde der Gründung einer extremistischen Vereinigung, der Steuerhinterziehung für BelaPAN sowie der Finanzierung von Protesten und des Hochverrats beschuldigt. Letztere beiden Punkte sind auch in der Anklage gegen Zlobina enthalten. Nach dem Gesetz dürfen sich die verurteilten Eheleute während der Haft weder treffen noch miteinander korrespondieren.
Den Ermittlungen zufolge sollen Alexandrow und Zlobina mehr als 250 Geldbußen im Wert von mindestens 4 Millionen US-Dollar aus den Mitteln der Kampagne #By_help bezahlt haben. Der Gründer von#By_help, Alexej Leonchik, erklärte gegenüber der DW, dass die Vorwürfe weit hergeholt seien: „Alexandrow hat wirklich geholfen, die Bußgelder zu bezahlen, er selbst bestreitet das nicht. Aber ich habe keine Ahnung, woher die Zahl von vier Millionen US-Dollar kommt. Wenn er dazu beigetragen hat, 250 Bußgelder zu bezahlen, wie von dem Untersuchungskomitee angegeben, ergibt sich, dass jede Strafe 16 Tausend US-Dollar betrug. Das ist eine sehr merkwürdige Rechnung.“
Die Angeklagten im Fall BelaPAN sind anerkannte politische Gefangene.
„Das ist die Rache dafür, dass die Journalisten ihre Aufgaben professionell erfüllen und die Öffentlichkeit mit der Wahrheit informieren", sagt Oleg Ageew, stellvertretender Vorsitzender des belarussischen Journalistenverbandes. „Jetzt macht der Staat Menschen strafrechtlich verantwortlich, die ihr Recht auf Meinungsfreiheit und Informationsverbreitung wahrnehmen. Die gegen BelaPAN erhobene Anklage ist ein Versuch, die politische Verfolgung zu verschleiern.“
Was die geheime Verhandlung betrifft, so weist Ageew darauf hin, dass weder das Gericht noch die Staatsanwaltschaft Argumente für die Durchführung einer Verhandlung unter Ausschluss der Öffentlichkeit aufgeführt haben. „Dies ist eine Verletzung des Rechts der Angeklagten auf ein faires Verfahren", so Ageew. „Die Öffentlichkeit sollte wissen, wofür die Menschen verurteilt werden. Und die Angeklagten sollten das Recht haben, ihren Standpunkt in einem offenen Verfahren darzulegen. Ausnahmen sind möglich, aber dann muss das Gericht in angemessener Weise erklären, warum das Verfahren unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden wird. Das ist im Fall von BelaPAN nicht passiert.“
Oleg Ageew weist darauf hin, dass der Fall BelaPAN einen weiteren negativen Trend im belarussischen Justizsystem aufzeigt: „Eine Person wird festgenommen und unter einem bestimmten Artikel in die Haftanstalt gebracht und dann fangen sie an, die Anklage zu verdrehen.“
„Das zeigt, dass es anfangs willkürliche Inhaftierungen gab", erklärt der Experte. „Wenn eine Person in Gewahrsam ist, ist es einfacher, Druck auf sie auszuüben – das ist das Kalkül der belarussischen Sicherheitskräfte. Dies bestätigt, dass die Strafverfolgung von BelaPAN politisch motiviert ist. Die Angeklagten befanden sich bereits in Haft, als BelaPAN als extremistische Vereinigung eingestuft wurde. Und hat es rechtlich gesehen unmöglich gemacht, dagegen Berufung einzulegen. Und sie werden dafür vor Gericht gestellt.“
Die BelaPAN-Kollegen und Kolleginnen sagen, dass ihre Briefe die Angeklagten in den letzten Monaten nicht erreicht haben. „Laut ihren Verwandten und Anwälten sind sie gesund, sie bleiben so munter wie es geht", erzählte eine ehemalige BelaPAN-Journalistin der DW-Korrespondentin Tatjana Korowenkowa.
Belarussische Menschenrechtsaktivisten und Menschenrechtsaktivistinnen erkennen den Prozess im Fall BelaPAN nicht als fair an und fordern die Freilassung der politischen Gefangenen.
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf Russisch veröffentlicht.