Die DW Akademie unterstützt Faktencheckerinnen und -checker in Armenien, die die Kommunikation der Regierung überprüfen. Der Berg-Karabach-Krieg und der Ex-Präsident haben ihre Fähigkeiten schon auf die Probe gestellt.
Im Jahr 2020 reisten ein armenischer Redakteur, ein Fotograf und ein Kamerateam des Online-Magazins Hetq an die Grenze zu Aserbaidschan im Osten des Landes. ‘Hetq’ bedeutet im Armenischen ‘aufspüren’, und genau das hatte das Team vor – sie wollten der Wahrheit auf die Spur kommen und nachprüfen, ob die Behauptungen ihrer Regierung über den Konflikt in der Region Berg-Karabach der Realität entsprachen.
In der Redaktion in Jerewan sichteten die Hetq-Reporterinnen und Reporter die Nachrichten, die ihre Kollegen von der Front schickten. "Wir hatten Informationen aus erster Hand", erinnert sich Vahe Sarukhanyan, ein Faktenprüfer bei Hetq. Aber es war nicht einfach, diesen Informationen Aufmerksamkeit zu verschaffen, da es in diesem so genannten Informationskrieg zwei Fronten gab: Die aserbaidschanischen Medien berichteten eine Geschichte, die armenische Regierung eine andere. Keine der beiden Versionen entsprach wirklich dem, was das Hetq-Team von der Front berichtete, nämlich dass es auf beiden Seiten schwere Verluste gab – wie in jedem Krieg.
Der Grenzkonflikt in Berg-Karabach reicht bis ins frühe 20. Jahrhundert zurück. Er ist sowohl ethnischer als auch territorialer Natur. 1988, kurz vor dem Zerfall der Sowjetunion, flammten die Spannungen zwischen Armenien und Aserbaidschan auf: Beide Länder beanspruchten die Souveränität über die mehrheitlich von Armeniern bewohnte Enklave innerhalb der Grenzen Aserbaidschans. Es folgten gelegentliche Waffenstillstände, doch seit 2010 kam es immer wieder zu sporadischen Kämpfen, bei denen Tausende von Menschen starben. Im September 2020 eskalierte der Konflikt erneut.
"Damals gab es viele Einschränkungen, weil die Regierung das Kriegsrecht verhängte", erklärt Sarukhanyan. "Das war eine große Herausforderung. Aber wir haben die staatliche Propaganda mit dem abgeglichen, was uns unsere Kollegen von vor Ort über die Geschehnisse an der Front berichteten."
Stellt in Armenien offizielle Informationen auf den Prüfstand: Vahe Sarukhanyan, Faktenprüfer des investigativen Online-Magazins Hetq.
Heute ist Hetq eines von zehn unabhängigen Medienunternehmen, mit denen die DW Akademie in Armenien zusammenarbeitet. Da die journalistische Überprüfung von Fakten für die Zivilgesellschaft so wichtig ist, insbesondere im Zeitalter chronischer Desinformation, hat die DW Akademie ihre Projekte in Armenien mit finanzieller Unterstützung der Europäischen Union im Oktober 2021 gestartet. Sie stellt Medien Zuschüsse und Ausrüstung zur Verfügung und unterstützt bei der Analyse von Medienkennzahlen und Publikumsbindung.
Das Projekt "European Media Facility Armenia: Building Sustainable and Professional Media" wird von der Europäischen Union in Armenien und dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) finanziert und von einem Konsortium unter der Leitung der DW Akademie mit BBC Media Action, der Medienorganisation Open Society Institute Assistance Foundation Armenia (OSIFA), sowie Hetq und Factor TV durchgeführt.
Falsche und irreführende Informationen sind in Armenien schon seit Längerem ein Problem. Die Covid-19-Pandemie und der Berg-Karabach-Krieg stellten die Medienschaffenden jedoch im Kampf gegen Desinformationen vor besonders große Herausforderungen. Das Engagement der DW Akademie im Land zielt darauf ab, Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Demokratie aufzubauen.
"Die regionalen Medien sind diejenigen, die der Desinformation wirklich entgegenwirken müssen", sagt Satenik Baghdasaryan, Projektleiterin der DW Akademie in Armenien. Weil die Mainstream-Medien des Landes nach wie vor in den Händen der Regierung sind, ist die Überprüfung ihrer Berichte gleichsam schwierig wie wichtig, denn diese Nachrichten erreichen in Kürze viele Menschen.
"Vor allem seit 2020, seit dem Krieg und der Pandemie, haben Hassrede und Desinformation wieder zugenommen, zusammen mit einer Menge manipulativer Online-Inhalte", sagt Baghdasaryan. "Unsere Idee war es daher, unsere Kräfte zu bündeln und gemeinsam Fakten zu überprüfen."
Kristine Barsegyan, Projektmanagerin der Nichtregierungsorganisation Investigative Journalists, dem Herausgeber von Hetq, arbeitet seit 22 Jahren im Bereich der Faktenüberprüfung. Sie räumt ein, dass die Verifizierung von Informationen sowohl zeit- als auch kostenintensiv, aber angesichts der weit verbreiteten Desinformation umso notwendiger ist. Außerdem sei die Nachfrage gewachsen.
"Unser Publikum ist nicht nur in Armenien", sagt sie. "Wir haben Leserinnen und Leser in der Diaspora, in den Vereinigten Staaten, in Russland und in Aserbaidschan. Wir haben oft das Gefühl, dass alles auf unseren Schultern lastet, aber wir sehen das als unsere Aufgabe an."
Sarukhanyan berichtet über investigative Berichte von Hetq – Recherchen aus dem Jahr 2020 zu denen sie selbst beigetragen hat – über nicht deklariertes Eigentum von Dutzenden hochrangiger Staatsbediensteten und deren ausländische Geschäftstätigkeiten. Die über mehrere Jahre hinweg recherchierten Artikel führten zu mehreren Rücktritten und der Rückführung illegaler Zuweisungen an den Staatshaushalt.
Eine weitere Investigativrecherche von Hetq im Jahr 2021 betraf die Staatsbürgerschaft des damaligen Präsidenten Armen Sarkissjan. Er hatte nicht offengelegt, dass er über Investitionen in St. Kitts und Nevis ebenfalls die Staatsbürgerschaft des als Steueroase bekannten Karibikstaates besitzt. Die Veröffentlichung dieser Informationen führten zu seinem Rücktritt – die armenische Verfassung sieht vor, dass ein Kandidat vor seinem Amtsantritt sechs Jahre lang ausschließlich die armenische Staatsbürgerschaft besessen haben muss, um für das Präsidentenamt in Frage zu kommen. Sarkissjan hatte zuvor nur eingeräumt, die doppelte armenisch-britische Staatsbürgerschaft zu besitzen, und behauptet, er habe letztere 2011 aufgegeben – sieben Jahre bevor er Präsident wurde.
"Ich denke, dass sich die Erwartungen der Öffentlichkeit und ihre Einstellung zu den Medien durch diese Art von Arbeit verändert haben", so Baghdasaryan. "Ob es sich nun um Desinformation handelt oder um offizielle Informationen, die falsch sind, die Menschen haben gelernt, dass man staatlichen Quellen nicht unbedingt trauen kann. Wir arbeiten daran, vertrauenswürdige Informationen zu verbreiten."