Libanons erstes Curriculum zu Wissenschaftsjournalismus
In der Highschool war Manale Abou Dagher Mitglied im Ökologieclub. Für sie öffnete sich dadurch eine neue Welt, wie sie selbst sagt. Später an der Universität studierte sie Geografie und Kartografie, doch ihre Begeisterung für Ökologie und für die Möglichkeit, dadurch neue Lösungen für viele Probleme zu finden, blieb bestehen. Im Jahr 2007, nun mit einem Master- Abschluss in Umwelt und Landmanagement forschte sie an einer Universität im nördlichen Libanon zu Küsten- und Meeresressourcen und arbeitete an Studien, unter anderem für Libanons Öl- und Gasbranche. 2021 nahm sie am Climate Change and Environment-Programm am Issam Fares Institute for Public Policy and International Affairs an der Amerikanischen Universität Beirut teil. Ihr professionelles Interesse und ihre Kenntnisse, besonders ihr umfassendes Umweltverständnis über den Libanon, bringt sie nun bei der Zusammenarbeit mit Trainerinnen und Trainern der DW Akademie ein . Gemeinsam entwickeln siedas erste Curriculum im Bereich Umweltjournalismus für junge libanesische Journalistinnen und Journalisten.
In diesem Interview erklärt Abou Dagher, wie Journalistinnen und Journalisten sich der Berichterstattung rund um das Thema Klimawandel nähern können, mit einem Schwerpunkt Regierungsführung und den Herausforderungen im Bereich Umweltschutz im Libanon.
Warum Klimawissenschaften? Was hat sie an diesem Thema fasziniert?
Im Grunde hat alles mit dem Thema Klimawandel zu tun - Wasserverfügbarkeit, Konflikte, Verschmutzung. Ich finde es spannend, Wissenschaft und wissenschaftliche Themen für Entscheidungsträger verständlich zu machen, aber auch für die Durchschnittsbürgerin oder den Durchschnittsbürger. Als ich mein Studium im Bereich Geografie begann, stellte ich fest, dass ich das große Ganze besser verstand, je mehr ich lernte. Und dass, wenn wir über die Umwelt oder den Klimawandel sprechen, es unmöglich ist, nicht auch über weitere Dimensionen wie Gesundheit, Politik oder die Wirtschaft zu sprechen.
Das erklärt auch Ihr Interesse an der Entwicklung eines Curriculums im Bereich Umweltjournalismus. Worum geht es in dem Kurs und in den einzelnen Lektionen?
Das Curriculum beinhaltet ein vierwöchiges Programm, zwei Wochen davon sind Kurse und zwei Wochen lang haben die Studierenden Zeit, eine eigene Geschichte in Gruppen von drei bis fünf Teilnehmenden zu entwickeln. In der ersten Woche sprechen wir über die vier großen Herausforderungen des Libanon: Luftsverschmutzung, Flächennutzung und Veränderung bei der Flächendeckung, Müll/Abfall sowie Wasser und Abwasser. Ich erkläre ihnen außerdem, wie sie in realen Situationen recherchieren und am besten nach Quellen und Expertinnen und Experten suchen. Beispielsweise während eines Waldbrandes sollten sie mit lokalen Kommunen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von NGOs, dem Umweltministerium oder anderen Expertinnen und Experten sprechen, um das große Ganze zu verstehen. Dann können sie auch ihre Geschichte mit einem bestimmten Fokus schreiben.
Es gibt auch ein Modul zum Thema Umweltmanagement. Im Libanon haben wir recht schwache institutionelle und rechtliche Strukturen mit veralteten Gesetzen und Vorschriften, die nur schwer umsetzbar sind. Viele öffentliche Institutionen sind korrupt, es gibt Interessenskonflikte oder unklare Aufgabenverteilungen.
Für Journalistinnen und Journalisten ist es auch wichtig, zu erklären, warum sich eine Leserin oder ein Leser für die Klimakrise interessieren sollte. Ich vergleiche das gerne mit einer Mutter in ihrem Haus, die ein natürliches Interesse daran hat, sich um die Gesundheit ihrer Kinder und die Finanzen der Familie zu kümmern. Ihr wäre es vermutlich egal, wenn im Meer Delfine aufgrund von Verschmutzung oder Klimawandel sterben. Aber wenn du ihr erklären kannst, wie der Klimawandel mit ihrer Gesundheit oder mit Wirtschaftskrisen zusammenhängt, würde sie sich vermutlich dafür interessieren – im Fall des Waldbrandes wäre es für sie relevant zu wissen, wie die Wälder die Luft sauber halten, aber weniger, wie viele Eichhörnchen durch den Brand ihr Zuhause verloren haben. Ich zeige den Studierenden also, wie sie die gleiche Geschichte aus verschiedenen Perspektiven erzählen können.
Wir sprechen auch über die Interpretation und Einbindung von Daten, zum Beispiel Grafen, Tortendiagrammen oder Tabellen und Techniken, wie man wissenschaftliche Ergebnisse in einem Forschungsbericht versteht und interpretiert.
Wie bewerten Sie die Art und Weise, wie die libanesische Presse, oder die Presse im Allgemeinen, derzeit zu Umweltthemen berichtet?
Im Libanon gibt es gerade so viele Probleme mit politischen und wirtschaftlichen Krisen, dass das Thema Umwelt kaum einen Platz in der Berichterstattung findet.
Außerdem gibt es ein Sprachproblem. Im Libanon werden Artikel, Videos und Nachrichten oft auf Arabisch geschrieben und verbreitet, während ein Großteil der wissenschaftlichen Forschung auf Englisch oder Französisch verfasst ist. Wenn du eine gute Datenquelle brauchst, ist sie meist nicht auf Arabisch.
Journalistinnen und Journalisten müssen daher die Ergebnisse erst auf Arabisch übersetzen und dabei die richtigen Begriffe finden, um Konzepte, Daten und Informationen zu erklären.
Können Sie etwas zur Umweltpolitik im Libanon sagen?
Nach dem Bürgerkrieg in den frühen 1990er Jahren war das klare Ziel, die Zerstörung hinter sich zu lassen. Entwicklungs- und Wiederaufbauprojekte hatten daher klare Priorität. Viele Entwicklungsprojekte wurden umgesetzt, so wie der Wiederaufbau des Beiruter Stadtzentrums. Wenige scherten sich dabei um die Konsequenzen für die Umwelt. Das Umweltministierium wurde 1993 gegründet, das libanesische “Gesetz zum Schutz der Umwelt” wurde 2002 verabschiedet. Das Gesetz erfordert allerdings sogenannte Anwendungserlasse, wie z.B. eine Umweltverträglichkeitsprüfung, die 2014, also erst zehn Jahre später, unterzeichnet wurde.
Zusätzlich ist das Budget des Umweltministeriums das niedrigste im Vergleich zu allen anderen libanesischen Ministerien.
Was sind die wichtigsten Klima-Geschichten, zu denen Journalistinnen und Journalisten im Libanon berichten sollten?
Wie bereits beschrieben, zeigen unsere Studien, dass es im Libanon vier prioritäre Bereiche im Umweltschutz gibt, das sind Luftverschmutzung, Flächennutzung, Müll, Wasser und Abwasser. Die Herausforderung ist es, die Themen so aufzugreifen, dass sie für das Publikum intressant sind. Wir zeigen in unseren Trainings Wege auf, zum Beispiel, indem man Regierungs- oder Managemenetaspekte aufgreift, den Einfluss auf die Gesundheit, auf Lebensgrundlagen oder die Gesellschaften. Warum kann man nicht regelmäßig eine Seite oder eine Stunde Radio- oder Fernsehzeit Themen wie dem Klimawandel oder der Umwelt widmen? Wenn man darüber nachdenkt, hat jede Zeitung einen eigenen Bereich für Politik, Kunst, Wirtschaft, lokale und regionale Nachrichten. Aber es gibt keinen eigenen Umweltbereich.
Ich habe die Hoffnung, dass wir mit unseren Trainings jungen Journalistinnen und Journalisten vermitteln, wie sie am besten Geschichten von Klimawandel und Umweltbedrohungen und auch Lösungen zu diesen Problemen erzählen können. Und dass sie dabei auch verstehen, warum all das so wichtig ist, und nicht nur die Berichterstattung zu Ereignissen und Umweltkatastrophen, bei denen nichts mehr getan werden kann.