Ranga Yogeshwar über KI und die Medien
Der Diplomphysiker Ranga Yogeshwar gilt als einer der führenden Wissenschaftsjournalisten in Deutschland. Er setzt sich dafür ein, Forschung und Wissenschaft einer breiten Öffentlichkeit näher zu bringen. Für seine journalistischen Beiträge und Buchveröffentlichungen hat er zahlreiche Medienpreise erhalten. Er war viele Jahre beim WDR beschäftigt. Seit 2008 arbeitet er als freiberuflicher Journalist, Autor und Vortragsredner.
DW Akademie: Herr Yogeshwar, warum brauchen wir Journalistinnen und Journalisten, wenn auch generative KI Nachrichten verfassen kann?
Ranga Yogeshwar: Als Journalistinnen und Journalisten müssen wir die Glaubwürdigkeit unserer Quellen immer prüfen. Es hat bereits viele Fälle gegeben, in denen künstliche Intelligenz Falschinformationen generiert hat. Im Journalismus gibt es klassische Regeln, zum Beispiel zur gebotenen Gründlichkeit: Ein Fakt muss mehrfach überprüft werden.
Künstliche Intelligenz kann im Journalismus aber für weit mehr eingesetzt werden als das Schreiben von Nachrichten. Wir können KI sehr konstruktiv nutzen, etwa für die Recherche oder Zusammenstellung von Daten, oder auch zum Programmieren.
Aber es gibt auch Aspekte des Journalismus, wie z.B. die Analyse eines Konflikts, für die wir auch in Zukunft gute Journalistinnen und Journalisten brauchen, die Zusammenhänge herstellen und neue Aspekte aufzeigen. Ich denke, das ist mit KI sehr schwierig, zumindest im Moment.
Dass künstliche Intelligenz im Journalismus eingesetzt wird, ist nicht neu. Was hat sich zuletzt geändert?
Mit dem Aufkommen von „large language models“ (sogenannte „große Sprachmodelle“, bei denen die KI anhand großer Datenmengen lernt, selbst natürlich wirkende Texte zu erstellen, Anm. d. Red.) hat KI eine neue Qualität erreicht. Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit ist die Sprache kein Monopol des Menschen mehr. Sprache ist die Grundlage für alles: Demokratie, Wirtschaft, Rechtsprechung. Sprache ist entscheidend.
Wir könnten so weit gehen zu sagen, dass unsere zivilisierte Welt gehackt worden ist. KI kann heute völlig neue Narrative generieren – und das kann unsere etablierten Strukturen destabilisieren. Am Beispiel Soziale Netzwerke sehen wir bereits, dass die Polarisierung der Gesellschaft extrem zunimmt. Demokratische Strukturen und Kommunikationsstrukturen werden aufgebrochen. Und wenn wir nicht aufpassen, kann das durch KI noch verstärkt werden.
Das Geschäftsmodell sozialer Netzwerke beruht auf der so genannten Aufmerksamkeitsökonomie. Wir haben völlig unterschätzt, wie unser Interesse an spektakulären Newsfeeds in Kombination mit kommerziell gesteuerten Aufmerksamkeitsalgorithmen zur Verbreitung von Falschinformationen beiträgt. Ironischerweise generieren Falschmeldungen aber auch Einkommen für die Plattformen. Viele Feeds auf X, YouTube, Facebook usw. sind schlicht falsch.
Grundlage einer Demokratie sind glaubwürdige Informationen. Sie sind mehr als ein Produkt und wir erkennen jetzt die Folgen dieser Fehlentwicklung: Polarisierung, Zerfall der Gesellschaft, Misstrauen... Wir sehen jetzt, dass unsere Demokratien dabei sind, sich aufzulösen.
Glauben Sie, dass uns KI im Kampf gegen Desinformation helfen kann – oder wird sie das Problem eher noch vergrößern?
Die Hoffnung war groß, dass KI synthetisch erstellte Texte im Vergleich zu von Menschen geschriebenen Texten erkennen könnte. Inzwischen wissen wir jedoch, dass sie das eben nicht kann. Und das gilt nicht nur für Texte, sondern natürlich auch für Bilder oder Deep-Fake-Videos.
Das bringt uns zu einem wesentlichen Aspekt, nämlich der Glaubwürdigkeit. In ein paar Jahren wird Glaubwürdigkeit das wichtigste Alleinstellungsmerkmal sein. KI ist selbstreferenzierend, und das Internet füllt sich mit KI-generierten Inhalten. Es wird daher sehr schwierig werden, falsche von richtigen Informationen zu unterscheiden. Glaubwürdigkeit könnte für den Journalismus lebensrettend sein. Das bedeutet aber auch, dass sich etwas verändern muss. Heute spielt Journalismus oft mit im Geschäft mit der Aufmerksamkeit. Es muss eine Veränderung hin zu einem Glaubwürdigkeitsmodell geben, das sich von einer halluzinierenden KI-Welt unterscheidet.
Doch journalistische Geschäftsmodelle haben sich verändert. Wir erleben eine Krise, weil sich das gesamte Werbegeschäft verlagert hat und der Journalismus keine wirtschaftliche Grundlage mehr hat.
Was muss Ihrer Meinung nach getan werden, um diese Situation zu verbessern?
Unsere Gesellschaft sollte unabhängigen Journalismus schützen, weil er so wichtig für unsere Demokratie ist.
Das ist wie bei einer Feuerwehr. In jeder Stadt sind sich die Bürgerinnen und Bürger einig, dass sie eine Feuerwehr finanzieren müssen. Auch wenn es im vergangenen Jahr nicht gebrannt hat. Wir brauchen eine viel stärkere Unterstützung für den Journalismus, weil wir wissen, dass er für uns als Gesellschaft, für uns als Zivilisation wichtig ist.
Kann KI uns denn helfen, globale Herausforderungen zu meistern und Ungleichheit zu bekämpfen?
Die Tech-Welt hat schon immer über die großen Probleme gesprochen, die sie lösen will: Hunger, Ungerechtigkeit, Klimawandel. Ich halte das für Scheinargumente. Denn wenn wir mal genau hinsehen, was die Tech-Welt in der Vergangenheit getan hat, sehen wir sehr deutlich, dass es sich um leere Versprechen handelt.
Im Moment wird der Einsatz von KI in erster Linie von Geschäftsmodellen, Investitionen und Profit getrieben – vom Kapitalismus. KI ist ein Werkzeug unter vielen, um kapitalistische Strukturen zu stärken. Dabei geht es nicht um Gerechtigkeit, Fairness oder Gleichheit, sondern eine Welt der Ungleichheit. Eine Welt, in der, zumindest in den vergangenen Jahrhunderten, der Norden den Süden und die Reichen die Armen beherrschen. Technologie ist nicht die Lösung für die Probleme der Zukunft.
Interview: Alexandra Spaeth
Das Interview wurde auf Englisch durchgeführt (hier die englische Version) und anschließend übersetzt, gekürzt und redaktionell bearbeitet.