Ägypten: "Medien sind Propaganda-Maschinen" | Regionen | DW | 11.12.2013
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Regionen

Ägypten: "Medien sind Propaganda-Maschinen"

Der Machtkampf am Nil wird auch über die Medien ausgetragen. Auf Einladung von DW Akademie und ARD debattierten Experten darüber, wie sich die zugespitzte politische Situation auf die Arbeit von Journalisten auswirkt.

Moderator Jaafar Abdul-Karim, Deutsche Welle, und Nahostredakteurin Raniah Salloum, Spiegel Online (Foto: Reiner Freese).

Moderator Jaafar Abdul-Karim, Deutsche Welle, und Nahostredakteurin Raniah Salloum, Spiegel Online

"Die Medien in Ägypten waren nie frei - nicht unter Mubarak, nicht unter Mursi und auch jetzt nicht", sagte Mazen Hassan während des Expertengesprächs "Medien International" im ARD-Hauptstadtstudio. Durch das Gespräch leitete Jaafar Abdul-Karim, Reporter und Moderator bei der Deutschen Welle. In der derzeit aufgeheizten Stimmung seien die Medien "Propaganda-Maschinen", so Hassan, viele Journalisten würden sich von den jeweiligen Kräften im Land instrumentalisieren lassen.

Mazen Hassan, Deutschland-Korrespondent Al-Ahram (Foto: Reiner Freese).

Mazen Hassan, Deutschland-Korrespondent Al-Ahram

Mazen Hassan arbeitet als Deutschland-Korrespondent der Tageszeitung Al-Ahram und bekomme dies daher weniger zu spüren. Doch als er beispielsweise nach dem Sturz Mursis einen Artikel über die Reaktionen in Deutschland geschrieben hatte, in dem auch Mursi-Anhänger zu Wort kamen, wollte die verantwortliche Redakteurin den Bericht nicht drucken. Als Unterstützerin der Übergangsregierung schwebte der Redakteurin eher ein Bericht über feierende Ägypter im Ausland vor, für protestierende Mursi-Anhänger war aus ihrer Sicht kein Platz.

Die Instrumentalisierung von Journalisten beobachtet auch Jürgen Stryjak, ARD-Hörfunkkorrespondent in Kairo. Derzeit tendierten die Medien in Ägypten zu einer wohlwollenden Berichterstattung zugunsten des Militärchefs Abdel Fattah al-Sisi. "Es gibt Journalisten, die tatsächlich hinter dieser Art der Berichterstattung stehen. Dann gibt es Journalisten, die mitmachen, um nicht ausgegrenzt zu werden. Und schließlich gibt es Kollegen, die wirklich unabhängigen Journalismus betreiben - doch die haben es derzeit nicht leicht."

Rote Linie gesucht

Raniah Salloum, Nahostredakteurin und Reporterin bei "Spiegel Online", stellt eine große Unsicherheit bei ihren ägyptischen Kollegen fest. Viele wüssten nicht, wo genau die rote Linie verlaufe, die man nicht überschreiten dürfe. "Diese Ungewissheit führt zwangsläufig zur Selbstzensur." Jürgen Stryjak teilt diese Bedenken. Hinzu komme die sehr vage Formulierung des neuen Anti-Terrorismus-Gesetzes und des Demonstrationsgesetzes. Viele Kritiker könnten dadurch mundtot gemacht werden. "Darin sehe ich eine große Gefahr für die Presselandschaft."

Auch für Jürgen Stryjak, der als Korrespondent in Kairo arbeitet, habe sich die Situation nach dem Sturz Mursis verschlechtert. Es sei deutlich schwieriger geworden, den Aufenthalt zu verlängern, da Auslandsjournalisten das Image anlaste, Ägypten in einem schlechten Licht darzustellen. Außerdem finde er kaum noch Interviewpartner: "Das kenne ich von diesem Land eigentlich überhaupt nicht. Vor dem Sturz Mursis sprachen die Menschen wirklich gerne mit mir, es war sogar ausgesprochen einfach, Interviewpartner zu finden. Jetzt möchte kaum jemand mit einem Auslandskorrespondenten reden." Anonyme Anrufer hätten ihm bereits sogar vorgeworfen, schlecht über das Land zu berichten.

Ähnliches erlebt auch Raniah Salloum. Als Reporterin könne sie sich zwar weiterhin frei in Kairo bewegen, doch wenn sie Interviews führe, sei die aufgeheizte Stimmung deutlich zu spüren. "Ich musste schon mehrmals ein Interview abbrechen, weil sich um mich herum ein Mob bildete."

Auf Etiketten verzichten

Jürgen Stryjak, ARD-Hörfunkkorrespondent (Foto: Reiner Freese).

Jürgen Stryjak, ARD-Hörfunkkorrespondent

Es gebe ein großes Misstrauen der ausländischen Presse gegenüber, bestätigte Mazen Hassan. Er beobachte aber auch, dass nicht alle deutsche Medien ausgewogen über die derzeitige Situation berichten. Beispielsweise wurde beim Sturz Mursis kaum darüber informiert, dass dies nicht nur vom Militär ausgegangen sei, sondern auch vom Volk getragen wurde. Jürgen Stryjak pflichtete Hassan bei. Aus diesem Grund verwende er in seinen Berichten beispielsweise auch nicht das Wort "Putsch" oder den Ausdruck "Arabischer Frühling". "Diese Etiketten gehören nicht in einen sachlichen Bericht."

Besonders kritisch sehe er derzeit die Berichterstattung der Nachrichtenagenturen. Hier würde oft der Fokus auf vermeidliche Konflikte gelegt. Als Beispiel erzählte Stryjak von einem Volksfest, das er als Korrespondent besuchte. Das Fest verlief friedlich, nur am Rande gab es eine Auseinandersetzung zwischen Demonstranten und der Polizei. In den Nachrichtenagenturen las er später von "Straßenschlachten bei Anti-Mursi-Protesten" - aus seiner Sicht eine völlige Übertreibung, die wenig mit unabhängiger Berichterstattung gemein habe.

Mazen Hassan wies auf ein weiteres Problem der ägyptischen Presselandschaft hin: die schwache Ausbildung von Journalisten. In diesem Zuge lobte er die Arbeit der DW Akademie, die mit professionellen Trainings entscheidend zur Weiterbildung beitrage. In Ägypten sei Journalist kein Traumberuf, da er schlecht bezahlt sei. Viele hofften auf eine Verbeamtung bei den Staatsmedien - diese Motivation habe wenig mit dem Selbstverständnis eines unabhängigen Journalisten zu tun. Jedoch sei es derzeit auch schwer, für eine kritische Berichterstattung einzustehen. "Es besteht weiterhin die Gefahr, dass man aufgrund einer Meinung bestraft werden könnte. Wir müssen erst einmal das Gefühl bekommen, in einer Demokratie zu leben."

Rechnung mit Unbekannten

Einen Vorstoß gäbe es bereits. In der neuen Verfassung soll die Pressefreiheit gestärkt werden. Und es werde diskutiert, die Staatsmedien in unabhängige Medienunternehmen umzuwandeln. Allerdings sind diese Vorhaben in der derzeitigen Situation eine Rechnung mit vielen Unbekannten. Die Neuwahlen von Parlament und Präsident stehen noch aus, und für welche Medienpolitik sich die künftige Regierung dann entscheidet, ist ungewiss.

  • Datum 11.12.2013
  • Autorin/Autor Nadine Wojcik
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