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PolitikIran

Taliban und Teheran auf Konfliktkurs: Streit um das Wasser

Shabnam von Hein
31. Mai 2023

Sowohl Afghanistan als auch der Iran brauchen das Wasser des Grenzflusses Helmand. Kooperation wäre nötig. Stattdessen fielen kürzlich tödliche Schüsse.

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Ein Mann sitzt am ausgetrockneten Hamun-See; ein Boot liegt auf dem ausgtrockneten Boden des Sees
Der ausgetrocknete Hamun-See an der iranisch-afghanischen GrenzeBild: Tasnim

Taliban-Kämpfer aus Afghanistan erschossen am 27. Mai zwei iranische Grenzsoldaten und den Kommandanten des Grenzschutzpostens Sasuli. Laut Angaben der Taliban soll in Afghanistan ein Mensch ums Leben gekommen sein. Beide Seiten werfen sich nun gegenseitig vor, das Feuer eröffnet zu haben. Der Schusswechsel ereignete sich vor einem brisanten Hintergrund. Ein alter Streit zwischen dem Iran und Afghanistan ist wieder aufgeflammt: Der Konflikt um den Fluss Helmand, eine der wichtigsten Wasserquellen an der gemeinsamen Grenze.

Der Helmand (andere Schreibweise Hilmend, Anm. d. Red.), der in der Bergregion nahe der Hauptstadt Kabul entspringt, ist der längste Fluss Afghanistans und mündet in den Hamun-See an der Grenze zum Iran, auf dessen Territorium sich der größere Teil des Sees befindet. Der abflusslose Hamun-See ist der größte Süßwassersee im Iran und hat große Bedeutung für Umwelt und Wirtschaft der Region. Der Iran und Afghanistan teilen eine rund 950 Kilometer lange Grenze. Seit der Machtübernahme der Taliban im Sommer 2021 ist die Lage angespannt. Es kommt immer wieder zu Zwischenfällen.

"Sechs Monate vor der Machtübernahme der Taliban empfing Teheran eine Delegation der Taliban, unter anderem um Vereinbarungen über Wasserrechte zu treffen. Die Taliban scheinen sich nun offenbar nicht mehr an diese Vereinbarungen halten zu wollen", erklärt Najib Agha Fahim, ein Umweltexperte aus Afghanistan. Als ehemaliger Minister für die Bekämpfung von Naturkatastrophen unter Präsident Aschraf Ghani betont er die Notwendigkeit einer nachhaltigen Lösung: "Um dies zu erreichen, müssen Fachkommissionen beider Länder enger zusammenarbeiten und Informationen austauschen, um festzustellen, wie viel Wasser vorhanden ist und wie viel in den Iran geflossen ist."

Der Iran beschuldigt Afghanistan seit Jahren, das Wasser des Helmand-Flusses zurückzuhalten und damit gegen einen Vertrag von 1973 zu verstoßen. Afghanistan dementiert das. Es regne weniger, heißt es. Der Fluss führe daher weniger Wasser. Allerdings hat Afghanistan den Helmand direkt an der Grenze zum Iran aufgestaut. Der Kamal-Khan-Staudamm wurde nach langer Bauzeit im März 2021 eröffnet. Teheran behauptet, die Abflussmenge des Flusses würde durch den Damm erheblich verringert.

Talibanvertreter beim iranischen Außenminister, alle tragen Masken
Im Januar 2021 empfing der damalige iranische Außenminister Mohammad Dschawad Sarif eine Taliban-Delegation in TeheranBild: Tasnim News/AFP

Direkt nach der Machtübernahme der Taliban im August 2021 berichteten einige lokale iranische Medien, dass wieder mehr Wasser in den Iran geflossen sei. Die Taliban hätten angeblich zusätzliche Abflüsse am Kamal Khan-Staudamm geöffnet. Eine offizielle Bestätigung dazu aus Teheran oder Kabul erfolgte nicht.

Schon lange vor deren Machtübernahme pflegte Teheran eigentlich gute Beziehungen zu den Taliban. Gemeinsamkeiten gab es vor allem in der Ablehnung der USA und ihrer Anwesenheit in der Region. Offiziell hat der Iran die Taliban-Regierung zwar nicht anerkannt. Teheran bemüht sich aber um  einen pragmatischen Umgang mit den Machthabern in Kabul. Denn auch der Erhalt des Hamun-Sees erfordert eine enge Zusammenarbeit. Das scheint aber nicht zu funktionieren. "Letztes Jahr soll der Iran nur vier Prozent der vertraglich vereinbarten Wassermenge erhalten haben", sagte Hassan Kazemi Qomi, der iranische Sondergesandte für Afghanistan, letzte Woche in einem Interview mit der staatlichen Nachrichtenagentur Tasnim, die den Revolutionsgarden nahesteht. Qomi ist nach Kabul gereist, um die Angelegenheit zu regeln.

"Sowohl Teheran als auch die Taliban zeigen keinerlei Interesse daran, die Umweltprobleme in der Region anzugehen oder dem chronischen Missmanagement der Wasserressourcen entgegenzuwirken", sagt der iranische Umweltexperte Nik Kowsar im Gespräch mit der DW. Kowsar lebt derzeit in Washington, D.C. und recherchiert zu den Folgen des Klimawandels in der Großregion Syrien, Irak, Iran und Afghanistan. "Beide Seiten suchen nach kurzfristigen Lösungen und wollen ihre eigenen internen Probleme lösen. Die Taliban wollen die Landwirtschaft fördern. Und die Regierung in Teheran tut so, als ob sie sich nach den landesweiten Protesten auf einmal für die benachteiligte Provinz Sistan und Belutschistan interessiere." Der Großteil des Hamun-Sees, in den der Helmand mündet, liegt genau in dieser Provinz.

Befestigtes Seeufer des Kamal Khan Staudamms
Kamal Khan Staudamm in AfghanistanBild: Afghan Presidential Palace/Xinhua/imago images

Grenzregion zu Afghanistan ist Hochburg des Widerstandes im Iran

Die Region an der afghanischen Grenze ist eine der ärmsten des Iran. Wegen anhaltender Dürre und schlechten Wassermanagements in der Landwirtschaft ist Wasser sehr knapp. Die Provinz wird systematisch benachteiligt. Kleine Städte und Dörfer haben keine Schulen, keinen Strom und auch keine Wasserversorgung. Im Zuge der landesweiten Proteste nach dem Tod von Jina Mahsa Amini in Polizeigewahrsam hat sich die Provinzhauptstadt Zahedan zur Hochburg der Proteste entwickelt. Trotz brutaler Unterdrückung versammeln sich immer wieder Demonstranten auf den Straßen und protestieren gegen das politische System. Als Reaktion darauf setzt die Zentralregierung verstärkt auf Gewalt.

Das Militärs erhöhte nun seine Präsenz vor Ort. Am Sonntag, den 28. Mai, waren der Kommandeur der Bodentruppen der iranischen Armee und der Stellvertreter der iranischen Polizei nach Sistan und Belutschistan gereist. Vor Ort teilten sie der Presse mit, dass alles unter Kontrolle sei. Teheran und Kabul haben sich auf eine Untersuchungskommission geeinigt, die herausfinden soll, was bei der Schießerei an der Grenze geschehen ist.

Im Iran sind viele Menschen wütend. Drei Soldaten sind ums Leben gekommen. "Manche wünschen sich einen Krieg gegen die Taliban", meint Brigadegeneral Amir Ali Hajizadeh, der Kommandant der Luft- und Raumfahrtstreitkräfte der Revolutionsgarden am Montag, 29. Mai, auf einer Veranstaltung an der Uni University of Science & Technology (Elm-O-Sanat) in Teheran. "Hinter diesen Provokationen stecken aber unsere Feinde. Sie wollen aus diesen Auseinandersetzungen an der Grenze einen Krieg anzetteln. Es wird auf keinen Fall geschehen."