1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Spionage wie im Kalten Krieg

7. Juni 2022

Das Thema war für den Verfassungsschutz nie ganz weg. Aber spätestens seit Russlands Krieg in der Ukraine hat die Spionage-Abwehr wieder Hochkonjunktur.

https://p.dw.com/p/4CNu5
Symbolbild Überwachung, Spionage, Bespitzelung
Spionage mit Ferngläsern bleibt auch im digitalen Zeitalter eine Möglichkeit, um an geheime Informationen zu kommen... Bild: Kai Remmers/dpa/picture alliance

"Die Sicherheitslage in Deutschland ist angespannt." Wenn der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) so etwas sagt, meinte er damit in jüngerer Vergangenheit vor allem den Rechtsextremismus. Der sei auch nach wie vor die "größte Bedrohung", betont Thoms Haldenwang, als er gemeinsam mit Innenministerin Nancy Faeser in Berlin den aktuellen Verfassungsschutzbericht vorstellt. Er sagt aber auch, "dass das Niveau der Spionage-Aktivitäten gegen Deutschland dem des Ost-West-Konflikts bis 1990 in nichts mehr nachsteht".

Der Krieg in der Ukraine hat die Bedrohungslage verschärft

Damals, vor gut 30 Jahren, endete durch den Fall der Berliner Mauer und den Sturz der kommunistischen Diktaturen in Osteuropa der sogenannte Kalte Krieg zwischen den Supermächten USA und Sowjetunion. Die Sowjetunion löste sich 1991 sogar auf. Deren mächtigster und einflussreichster Nachfolgestaat wurde Russland. Und dessen Präsident Wladimir Putin hat mit seinem Befehl zum Angriff auf die Ukraine aus Haldenwangs Sicht dafür gesorgt, "dass die nachrichtendienstliche Bedrohungslage perspektivisch zu- statt abnehmen wird".

Faeser und Haldenwang halten gemeinsam ein gedrucktes Exemplar des Berichts in den Händen
366 Seiten Bedrohung: der Verfassungsschutz-Bericht. Nancy Faeser (r.) und Thomas Haldenwang haben ihn vorgestellt.Bild: Wolfgang Kumm/dpa/picture alliance

Potenzielle Ziele für die Ausspähung durch Geheimdienste sind demnach alle Bereiche: Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Technik, Militär. Bei der Abwehr feindlicher Ausforschungsversuche sieht sich der Verfassungsschutz auf einem gutem Weg. Als Beispiel wird im aktuellen Bericht die Festnahme eines wissenschaftlichen Mitarbeiters an der Universität Augsburg (Bayern) im Juni 2021 genannt. Er soll für einen russischen Geheimdienst gearbeitet haben.

Verfassungsschutz erwartet mehr Cyber-Sabotage

In einem anderen Fall konnte dieser Vorwurf schon bewiesen werden: Das Kammergericht Berlin verurteilte im vergangenen Oktober einen Deutschen zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren auf Bewährung. Er hatte sensible Daten über Bundestagsgebäude an einen russischen Nachrichtendienst weitergegeben.

Russlands digitaler Krieg gegen die Ukraine

Nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine rechnet Thomas Haldenwang außerdem mit einem "erhöhten Risiko von Cyber-Sabotage gegen kritische Infrastrukturen in Deutschland". Deshalb sensibilisiere und warne seine Behörde seit Kriegsbeginn potenziell gefährdete Bereiche. Der Verfassungsschutz stelle seine Expertise, "wo immer gefragt", zur Verfügung, so Haldenwang.  

"Putins Lügen verfangen in Deutschland nicht"

Die Bedrohungslage, sagt auch Innenministerin Nancy Faeser, habe mit dem russischen Angriffskrieg eine "neue Dimension" gewonnen. Man verteidige die Sicherheit und den Frieden in Deutschland gegen Spionage, Versuche der Einflussnahme, Lügen und Kriegspropaganda. Zugleich gab sich die Innenministerin überzeugt: "Putins Lügen verfangen in Deutschland nicht."

Propaganda und Fakes im Ukraine-Krieg

Diese Einschätzung gilt zumindest für die große Mehrheit der Bevölkerung. Aber die Sozialdemokratin warnt, insbesondere Rechtsextremisten könnten den Ukraine-Krieg für ihre Zwecke instrumentalisieren. Die missbrauchten jede Krise für ihren Versuch, "Menschen gegeneinander auszuspielen und die Gesellschaft zu destabilisieren". Nancy Faeser erinnerte in diesem Zusammenhang an den von ihr initiierten Aktionsplan Rechtsextremismus, der auf "Prävention und Härte" setze.

Immer mehr gewaltbereite Rechtsextremisten

"Wir müssen Radikalisierung stoppen, rechtsextreme Netzwerke zerschlagen, vor allem Rechtsextremisten auch konsequent die Waffen entziehen", fordert Faeser. Wir groß die Gefahr aus diesem Milieu ist, belegt der jetzt vorgelegte Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2021. Demnach gelten 13.500 von knapp 34.000 erfassten Rechtsextremisten als gewaltbereit - ein Plus von 200. Die Zahl der Linksextremisten ist mit 34.700 zwar noch ein bisschen größer. Der gewaltbereite Teil ist mit 10.300 Radikalen allerdings um einiges kleiner.

Wie Rechte die Instagram-Ästhetik für ihre Zwecke nutzen

Leicht rückläufig ist das sogenannte Personenpotenzial im Phänomenbereich Islamismus/islamistischer Terrorismus. Der Verfassungsschutz kommt aktuell auf eine Zahl von knapp 28.300, das sind gut 400 weniger als 2020. Dieser Rückgang ist für Thomas Haldenwang allerdings kein Grund zur Entwarnung.

"Reale Bedrohungen aus sehr unterschiedlichen Bereichen"

Man bearbeite gerade "eine Vielzahl von Gefährdungssachverhalten" - damit sind schlimmstenfalls Anschlagsplanungen gemeint. "Die Lage wird insbesondere durch Kleingruppen und allein handelnde Täter dominiert, die durch Internet-Propaganda gewonnen und radikalisiert werden."

Das Fazit des Verfassungsschutz-Chefs angesichts der Fülle von Gefahren: "Es gibt reale Bedrohungen aus sehr unterschiedlichen Bereichen für unsere Demokratie, die Freiheit und die Sicherheit der Bevölkerung." Auffällig sei dabei die in nahezu jedem Phänomenbereich anzutreffende Ausbreitung von Desinformation.

Deutsche Welle Marcel Fürstenau Kommentarbild ohne Mikrofon
Marcel Fürstenau Autor und Reporter für Politik & Zeitgeschichte - Schwerpunkt: Deutschland