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Rammstein-Vorwürfe: "Till hat sich eigene Blase geschaffen"

19. Juni 2023

Als erstes Bandmitglied hat sich Schlagzeuger Christoph Schneider zu den Vorwürfen gegen Till Lindemann geäußert. Es seien Strukturen gewachsen, die über die Wertvorstellungen der restlichen Bandmitglieder hinausgingen.

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Christoph Schneider von Rammstein streckt am Schlagzeug sitzend die Arme in die Höhe.
Rammstein-Schlagzeuger Christoph Schneider 2019 bei der Stadion TourBild: Christoph Soeder/dpa/picture alliance

"Die Anschuldigungen der letzten Wochen haben uns als Band und mich als Menschen tief erschüttert", schreibt Rammstein-Schlagzeuger Christoph Schneider zu Beginn seines Statements, das er am Freitagabend auf seinem Instagram-Account veröffentlichte. "Euch Fans sicherlich ebenfalls."

Er glaube nicht, dass etwas strafrechtlich Relevantes, wie zum Beispiel der Einsatz von K.O.-Tropfen passiert sei. Er glaube nicht, dass etwas Verbotenes vor sich ging, er habe so etwas nie beobachtet und auch nicht aus der hundertköpfigen Crew gehört. "Und trotzdem sind anscheinend Dinge passiert, die - wenn auch rechtlich ok - ich persönlich nicht in Ordnung finde."

Abgrenzung zu Lindemann-Partys

"Gewisse Strukturen sind gewachsen, die über die Grenzen und Wertvorstellungen der restlichen Bandmitglieder hinausgingen." Es sei der Band daher wichtig, dass Till Lindemanns Partys nicht mit den offiziellen Aftershow-Partys verwechselt würden. "Till hat sich in den letzten Jahren von uns entfernt und sich seine eigene Blase geschaffen. Mit eigenen Leuten, eigenen Partys, eigenen Projekten", so Schneider weiter. 

Er glaube Till, wenn er sage, dass er seinen Gästen stets eine schöne Zeit bereiten habe wollen und will. "Wie diese Gäste sich das genau vorgestellt hatten, unterscheidet sich jedoch anscheinend in einigen Fällen von seinen eigenen Vorstellungen. Die Wünsche und Erwartungen der Frauen, die sich jetzt gemeldet haben, wurden wohl nicht erfüllt." Sie hätten sich am Rande einer für sie nicht mehr kontrollierbaren Situation gefühlt. "Das tut mir leid für sie und ich spüre Mitgefühl", schreibt Schneider.

Sache "reflektiert aufarbeiten"

Es stehe jedem Gast im Backstagebereich frei, wieder zu gehen betont er außerdem. Alle Flaschen seien versiegelt und würden vor den Augen der Gäste oder von ihnen selbst frisch geöffnet. Am Ende seines Posts äußert Schneider den Wunsch nach einem "ruhigen und reflektierten Aufarbeiten", auch in der Band. "Und zwar alle gemeinsam, zu sechst. Wir stehen zusammen." 

Mit dem Statement, das der 57-Jährige diesen Freitag veröffentlichte, ist er das erste Bandmitglied, das zu den Anschuldigungen gegen Till Lindemann Stellung bezieht. Mehrere Frauen hatten - teilweise anonym - Vorwürfe gegen Lindemann erhoben. Sie schilderten Situationen, die sie teils als beängstigend empfunden hätten. Junge Frauen seien während Konzerten ausgewählt und gefragt worden, ob sie zur Aftershowparty kommen wollten. Dabei soll es nach Schilderungen einiger Frauen auch zu sexuellen Handlungen gekommen sein. Lindemann hatte Vorwürfe gegen ihn zurückgewiesen. Seine Interessen lässt er anwaltlich vertreten. Inzwischen hat die Staatsanwaltschaft Berlin Ermittlungen aufgenommen. 

Till Lindemann steht singend auf der Bühne, um ihn herum riesige Feuerfontänen.
Während gegen Lindemann ermittelt wird, ist die Tour der Band in vollem GangeBild: Sebastian Dammark/Gonzales Photo/picture alliance

Lisa Paus: Deutscher #MeToo-Moment?

Bundesfrauenministerin Lisa Paus von den Grünen sagte am Freitag, "es könnte sein, dass sich diese ganze Geschichte in Deutschland zu einem #MeToo-Moment entwickelt." Jede Krise solle auch als Chance genutzt werden. "Auch unabhängig von diesem Fall erleben wir ja eine sehr, sehr intensive Debatte: Wie stehen wir eigentlich in der Gesellschaft dazu?" Für Paus sei klar: "Sexismus ist nicht ok."

Auch der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, äußerte sich am Montag gegenüber der Funke Mediengruppe kritisch zu den Rammstein-Konzerten, die im Juli in der deutschen Hauptstadt stattfinden sollen. Er halte die geplanten Auftritte im Berliner Olympiastadion für "fragwürdig". "Antidemokratische Diskriminierungen wie Antisemitismus, Frauenverachtung und Rassismus gehen oftmals Hand in Hand", sagte er. "Wir sollten die betroffenen Frauen ernst nehmen, genauso wie wir Jüdinnen und Juden ernst nehmen sollten, wenn es um Antisemitismus geht." Die Grenzen des Sag- und Machbaren dürften unter dem Deckmantel der Kunstfreiheit nicht weiter verschoben werden. 

Rammstein-Alben erfolgreich in den Charts

Trotz der Debatte um die Band und Sänger Till Lindemann wurden die Verkaufszahlen nicht ausgebremst. In den jüngsten Album-Charts Top 100 sind Rammstein wieder mit sechs ihrer bisher acht Studioalben vertreten - und alle konnten sogar deutlich hinzugewinnen. Das jüngste Album "Zeit" stiegt von Platz 29 in der Vorwoche auf die 10 in den am Freitag veröffentlichten Offiziellen Deutschen Charts. Der Album-Vorgänger "Rammstein" stieg von 52 auf 20 und das 2001 erschienene Album "Mutter" schaffte es von 61 auf 25. 

Drei Alben sind sogar wieder in die Charts zurückgekehrt und mit "Sonne" ist einer der berühmtesten Songs der Band zurück in den Single-Charts. 

Allen Anschein nach kann auch die Entscheidung von Rammsteins Plattenlabel "Universal Music Entertainment", seine Marketing- und Promotion-Aktivitäten für Band vorläufig auszusetzen, den kommerziellen Erfolg von Lindemann und Co. nicht stoppen.

bb/ack (dpa, AFP, Instagram)