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PolitikNahost

Gegenseitige Vorwürfe nach dem Tod von Schirin Abu Akle

Anja Koch
13. Mai 2022

Die TV-Reporterin Schirin Abu Akle wurde bei Auseinandersetzungen zwischen Israels Militär und Palästinensern erschossen. Darüber, wer für ihren Tod verantwortlich ist, tobt ein erbitterter Streit.

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Wandgemälde der getöteten Al-Dschasira-Journalistin Schirin Abu Akle
Wandgemälde der getöteten Al-Dschasira-Journalistin Schirin Abu Akle Bild: Anas Alkharboutli/dpa/picture alliance

Schirin Abu Akle wurde nur 51 Jahre alt. Die erfahrene Reporterin des TV-Senders Al-Dschasira wurde am Mittwochmorgen in Dschenin im Westjordanland erschossen, einer Stadt, die als Hochburg militanter Palästinenser gilt. Abu Akle wollte dort über eine Razzia des israelischen Militärs berichten. Sie trug einen Helm und eine Schutzweste, durch die sie eindeutig als Vertreterin der Presse zu erkennen war.

Dass ihr Tod eine Tragödie ist, darin sind sich die israelische Regierung und die palästinensische Autonomiebehörde einig. Doch an diesem Punkt endet die Einigkeit. In den vergangenen Tagen gab es sowohl von palästinensischer Seite als auch aus der Zentrale von Al-Dschasira in Katar heftige Vorwürfe an die israelische Regierung. Bei einer Trauerfeier in Ramallah sagte Palästinenserpräsident Abbas am Donnerstag: "Wir machen die israelischen Besatzungsbehörden voll verantwortlich für den Mord, und es wird bei diesem Verbrechen nicht möglich sein, die Wahrheit zu verbergen."

Palästinenserpräsident Mahmud Abbas (M.) am Donnerstag bei der offiziellen Trauerfeier in Ramallah
Palästinenserpräsident Mahmud Abbas (M.) am Donnerstag bei der offiziellen Trauerfeier in RamallahBild: Eyad Jadallah/Zuma/IMAGO

Der israelische Premierminister Naftali Bennett hatte Vorwürfe dieser Art schon am Vortag zurückgewiesen: ‟Basierend auf ersten Informationen, die wir haben, gibt es eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass die Journalistin von bewaffneten Palästinensern erschossen wurde. Um die Wahrheit herauszufinden, muss es eine richtige Untersuchung geben."

Keine gemeinsame Untersuchung

Die Palästinensische Autonomiebehörde jedoch lehnt eine gemeinsame Untersuchung mit israelischen Behörden wegen "fehlenden Vertrauens" ab, man wolle sich stattdessen an den Internationalen Strafgerichtshof wenden, hieß es. Auch die Kugel, mit der Abu Akle erschossen wurde, will die Autonomiebehörde nicht zur forensischen Untersuchung an Israel übergeben. Wie die israelische Zeitung Haaretz berichtet, wurde Abu Akle offenbar durch eine 5,56 Millimeter große Kugel getötet, abgefeuert wohl aus einem M16-Gewehr. Die Zeitung schreibt weiter, solche Waffen würden sowohl von der israelischen Armee als auch von palästinensischen Kämpfern verwendet.

Schirin Abu Akle bei der Arbeit (undatiertes Archivbild)
Schirin Abu Akle bei der Arbeit (undatiertes Archivbild)Bild: Al Jazeera/dpa/picture alliance

Abu Akle war von mehreren Journalisten begleitet worden, auch ein palästinensischer Reporter, Ali Al-Samoudi, erlitt Schussverletzungen. Er erhebt schwere Anschuldigungen gegen die israelische Armee, sagt, es seien keine palästinensischen Kämpfer in der Nähe gewesen, als auf die Journalisten geschossen wurde. Dem Fernsehsender Al-Dschasira sagte Al-Samoudi: "Wir wollten eine Operation des israelischen Militärs filmen und plötzlich wurde auf uns geschossen, ohne dass wir vorher gebeten worden wären, die Gegend zu verlassen oder mit dem Filmen aufzuhören."

Widersprüchliche Darstellungen

Das israelische Militär widerspricht dieser Darstellung. Die Operation in Dschenin sei ein Anti-Terroreinsatz gewesen, die Soldaten seien dabei unter heftigen Beschuss durch bewaffnete Palästinenser geraten, heißt es in einem auf Twitter veröffentlichten Statement. Und weiter: "Die israelische Armee zielt niemals absichtlich auf Personen, die nicht an Kämpfen beteiligt sind. Wir achten die Pressefreiheit und das Recht auf Unversehrtheit."

Am Mittwoch, nur wenige Stunden nach dem Tod Abu Akles, hatte das israelische Außenministerium einen Video-Ausschnitt veröffentlicht, der nahelegt, dass Palästinenser den tödlichen Schuss abgegeben haben. Auf Twitter schrieb das Ministerium: "Heute Morgen in Dschenin konnte man Terroristen sagen hören: 'Sie haben einen erwischt, sie haben einen Soldaten erwischt, er liegt am Boden.' Aber es wurde kein Soldat der israelischen Armee verletzt. Palästinenser, die wahllos schießen, haben wahrscheinlich die Al-Dschasira-Journalistin Abu Akle getroffen." Etliche israelische Botschaften, darunter die in den USA und in Deutschland, übersetzten den Tweet und veröffentlichten ihn ebenfalls.

Die regierungskritische israelische Nichtregierungsorganisation B'Tselem hat das Video untersucht und will erkannt haben, dass das vom israelischen Außenministerium veröffentlichte Video eine Szene zeigt, die sich zu weit entfernt von dem Ort abgespielt habe, an dem Abu Akle erschossen wurde.

Gegenüber der DW sagt Dror Sadot von B'Tselem, die Organisation habe die genauen GPS-Daten des bewaffneten Mannes und des Tatorts ermittelt: "Wir haben Videomaterial von beiden Orten und wir können zeigen, dass es sich nicht um ein und denselben Vorfall handeln kann." Das freilich erklärt noch nicht, wer stattdessen auf Schirin Abu Akle geschossen hat.

Trauermarsch für Schirin Abu Akle am Donnerstag in Jerusalem
Trauermarsch für Schirin Abu Akle am Donnerstag in JerusalemBild: Muammar Awad/Xinhua/IMAGO

In einer am Freitagnachmittag veröffentlichten Erklärung sagt das israelische Militär, es sei bislang nicht möglich, das abschließend zu klären. Es gebe zwei Möglichkeiten, heißt es darin: Entweder bewaffnete Palästinenser hätten sie versehentlich erschossen, als sie auf israelische Soldaten feuerten. Oder das israelische Militär habe sie versehentlich getroffen, als es auf einen Bewaffneten in ihrer Nähe feuerte.