1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
PolitikEuropa

Friedenspreis für Menschenrechtler aus Russland und Israel

Roman Goncharenko | Tania Krämer
1. September 2023

Der Aachener Friedenspreis 2023 geht an ein Netzwerk russischer Aktivistinnen und an eine Gruppe von Menschenrechtlern in Israel und den besetzten Gebieten. Die DW stellt die Preisträger vor.

https://p.dw.com/p/4Vnks
Aachen
Der Friedenspreis wird seit 1988 in Aachen verliehenBild: picture-alliance/blickwinkel/S. Ziese

Wenige Monate nach der Verleihung des Karlspreises an den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und das ukrainische Volk geht es in Aachen wieder um den russischen Angriffskrieg. Der Aachener Friedenspreis wird am Freitag, dem 1. September, an den "Feministischen Widerstand gegen den Krieg" aus Russland verliehen. Außerdem wird eine Gruppe von Menschenrechtlern in Israel und den besetzten Gebieten ausgezeichnet. 

Der Aachener Friedenspreis wird seit 1988 vom gleichnamigen Verein verliehen, der seine Wurzeln in der Friedensbewegung hat und diverse gesellschaftliche Gruppen vereint, darunter Kirchen und Gewerkschaften. Jährlich am Friedenstag werden nationale und internationale Aktivisten prämiert.

Aachener Friedenspreis für russische Antikriegsaktivistinnen

2019, als der ukrainische Journalist Ruslan Kotsaba ausgezeichnet werden sollte, gab es heftige Kontroversen um die Preisverleihung, zu der es letztendlich nicht kam. Es gab Antisemitismus-Vorwürfe gegen den designierten Preisträger; der Vereins-Vorstand sprach sich gegen die Auszeichnung aus. Kotsaba entschuldigte sich für seine früheren Äußerungen und verzichtete auf den Preis

Protest gegen Russlands "Krieg und Patriarchat"

Die diesjährigen russischen Preisträgerinnen werden für ihr Engagement gegen den russischen Krieg in der Ukraine ausgezeichnet: Als Moskau am 24. Februar 2022 das Nachbarland überfiel, waren viele schockiert; öffentlich zu protestieren wagten nur wenige. Zu denen zählt der "Feministische Widerstand gegen den Krieg" (FAR).

Niederlande Aktionen der Gruppe Feministischer Wiederstand gegen den Krieg
Protestaktion der Gruppe Feministischer Wiederstand gegen den Krieg (Archiv)Bild: Feminist Anti-War Resistance

Die Bewegung entstand aus einem Gefühl der Machtlosigkeit und dem Wunsch, etwas zu tun, erzählen russische Aktivistinnen, die heute in Deutschland leben, gegenüber der DW. Ihre Nachnamen bleiben zum Schutz vor einer möglichen Verfolgung geheim. "In den ersten Monaten des Krieges hat es mir in Moskau geholfen, nicht zu zerbrechen", erzählt Ekaterina. 

Bereits am Tag nach dem Überfall auf die Ukraine machten russische Frauen aus der feministischen Szene mit einem Online-Manifest auf sich aufmerksam. Sie prangerten den Krieg, aber auch "Patriarchat, Autoritarismus und Militarismus" an. Es folgten Protestaktionen wie das Aufstellen von Kreuzen zum Gedenken an das Massaker in Mariupol, das Verteilen von Anti-Kriegs-Stickern oder das Überkleben von Preisschildern in Geschäften mit Zahlen von Kriegsopfern. Doch auch das war für viele zu gefährlich, denn für jegliche Kritik am Krieg in der Ukraine drohen in Russland langjährige Haftstrafen. 

"Ein Mann fährt nicht zum Krieg – wunderbar!"  

Die FAR-Bewegung agiert heute aus dem Ausland und im russischen Untergrund. Es gebe Vertreterinnen in allen Großstädten, sagt Ekaterina. Die Frauen seien dezentral organisiert, um sich maximal vor Verfolgung zu schützen.

Sehr vorsichtig ist auch der Protest. So werde eine Zeitung heimlich in Mehrfamilienhäusern verteilt. Zwischen Backrezepten befänden sich darin auch Tipps, wie Männer sich der Mobilisierung entziehen können, sagt Olga, die heute ebenfalls in Deutschland lebt: "Ein Mann fährt nicht zum Krieg – wunderbar!"  

"Aktivismus ist nur die Spitze des Eisbergs", sagt Olga. "Ein Großteil der Aktivitäten des Feministischen Antikriegs-Widerstandes wird nirgendwo angekündigt, darüber wissen nur die Teilnehmerinnen Bescheid und auch nicht alle." Es handele sich dabei etwa um rechtliche Hilfen oder psychologische Beratungen; der Kampf gegen den Krieg sei ein Marathonlauf.

"Es ist wichtig, Verantwortung zu übernehmen und den Kampf gegen die russische Aggression aufzunehmen", sagt Ekaterina. Das Gesicht des russischen Protests sei oft weiblich. Das war auch früher schon so. 2004 wurde das renommierte Komitee der Soldatenmütter in St. Petersburg mit dem Aachener Friedenspreis ausgezeichnet.      

Rechtlicher Beistand für Israelis und Palästinenser

Der zweite Preisträger 2023, die Human Rights Defenders Fund (HRDF), ist eine Organisation, die tätig wird, wenn israelische und palästinensische Menschenrechtsaktivisten juristischen Beistand benötigen. "Der Human Rights Defenders Fund arbeitet vor allem im Hintergrund – in dem Sinne, dass wir uns als Sicherheitsnetz für Menschenrechtler in Israel und den besetzten palästinensischen Gebieten verstehen", sagt Arielle Sadie Gordon von HRDF.   

Die Gruppe von Anwälten gibt rechtlichen Beistand für Israelis und Palästinenser. Jene, die den Beistand benötigen, engagieren sich in vielen Bereichen, unter anderem gegen die israelische Besatzungspolitik in den palästinensischen Gebieten, für Bürgerrechte der palästinensischen Minderheit in Israel, für LGBTQ-Rechte oder für Klimapolitik. Der HRDF, so die Begründung des Vorstands des Aachener Friedenspreises, werde auch für das Streben nach einer gerechten Lösung zwischen Israelis und Palästinensern geehrt

Mitglieder des Human Rights Defenders Fund (HRDF) im August 2022
Mitglieder des Human Rights Defenders Fund (HRDF) im August 2022Bild: HRDF


Über eine Hotline sind die Juristen jederzeit erreichbar, wenn Israelis oder Palästinenser bei gewaltfreien Aktionen von Israels Polizei oder Militär festgenommen werden - auch dann, wenn es zu einer Anklage oder einem Gerichtsverfahren kommt. "Sie müssen wissen, dass wir für sie da sind, auch wenn es um die finanzielle Belastung juristischer Hilfe geht", sagt Gordon. 

Anderen den Rücken freihalten

Auch Ori Givati von der israelischen Nichtregierungsorganisation Breaking the Silence hat in den vergangenen Jahren mehrfach auf die Hilfe von HRDF zählen können. "Eigentlich macht dies die Arbeit von Aktivisten erst möglich. Man kann darauf vertrauen, dass jemand da ist, wenn etwas passiert; jemand, der aufpasst, einem den Rücken freihält und rechtlichen Beistand leistet", sagt Givati. Breaking the Silence dokumentiert anonyme Aussagen israelischer Armee-Veteranen zu Übergriffen in den besetzten palästinensischen Gebieten. 
 
Der junge Israeli erzählt von einer Hilfsaktion für palästinensische Bewohner in einem Dorf nahe Hebron im südlichen Westjordanland, bei der eine Straße zu repariert werden sollte. "Die [israelischen] Siedler riefen die Armee, und die deklarierte das Gebiet zur militärischen Sperrzone, was bedeutet, dass sie entscheidet, wer sich dort aufhalten darf." Die Gruppe von Helfern habe dies befolgt, dennoch sei die Armee "hart gegen sie vorgegangen" - Givati selbst wurde festgenommen. "Schon als ich in der Polizeistation ankam, hatte ich juristischen Beistand von einem Anwalt von HRDF. Am Ende wurde der Fall ad acta gelegt." 

Gerade auch vor dem Hintergrund der umstrittenen Justizreform in Israel und der Pläne der ultra-rechten, religiösen israelischen Regierung, Teile des besetzten Westjordanlands zu annektieren, sei die Arbeit von HRDF besonders wichtig. "Wir vom HRDF sind sehr stolz und fühlen uns sehr geehrt, diesen prestigeträchtigen Preis zu erhalten", sagt Arielle Sadie Gordon. "Und wir sind froh, dass die internationale Gemeinschaft beginnt, die notwendige Arbeit von Menschenrechtsverteidigern in Israel und den besetzten palästinensischen Gebieten anzuerkennen." 

Porträt einer Frau mit dunklen Haaren
Tania Krämer DW-Korrespondentin, Autorin, Reporterin