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Politik

75 Jahre Berliner Luftbrücke: Als Feinde zu Freunden wurden

24. Juni 2023

1948 starteten vor allem die USA und Großbritannien eine historische Rettungsaktion: Eine Luftbrücke versorgte zwei Millionen Einwohner. Der Grund: Moskau blockierte die Versorgung West-Berlins.

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Blockade Berlin - Amerikanische Truppen bringen Nahrungsmittel
Amerikanische Truppen bringen Nahrungsmittel mit "Rosinenbombern"Bild: picture-alliance/United Archives/WHA

Als der Zweite Weltkrieg am 8. Mai 1945 in Europa endet,liegt Deutschland in Trümmern. Viele Städte sind nur noch Ruinenlandschaften. Nun hoffen die Menschen auf bessere Zeiten. Doch über dem Wiederaufbau des besetzten Deutschlands liegt bereits der Schatten des Kalten Krieges.

Misstrauisch belauern sich gegenseitig die Siegermächte, die westlichen Alliierten USA, Großbritannien und Frankreich einerseits und die Sowjetunion andererseits. Nicht nur Deutschland insgesamt ist in Besatzungszonen aufgeteilt, sondern auch Berlin. Und hier sind die Spannungen besonders spürbar. 

Luftaufnahme Berlin 1945: Man sieht nur noch Trümmer und zusammengebombte Häuser.
Schutt und Asche: Berlin ist nach dem Zweiten Weltkrieg fast völlig zerstörtBild: Imago

In den drei Westsektoren Berlins leben rund zwei Millionen Menschen wie auf einer Insel mitten im sowjetischen Machtbereich. 

Krise durch Einführung der D-Mark

Am 20. Juni 1948 kommt es zur Kraftprobe zwischen West und Ost: Die Westalliierten beschließen eine Währungsunion: die Geburtsstunde der D-Mark. Deutschland soll durch eine harte Währung wirtschaftlich stabilisiert werden. Auch in West-Berlin wird die D-Mark eingeführt. Doch der sowjetische Diktator Josef Stalin befürchtet, dass die Einführung der neuen Währung den Sonderstatus West-Berlins als Brückenkopf der Westalliierten inmitten sowjetischen Gebiets festigt.

"Damit kommt es zum Riss zwischen den drei westlichen Besatzungsmächten und der sowjetischen Seite", sagt der Kurator des Berliner Alliierten-Museums, Bernd von Kostka, der Deutschen Welle. "Eine gemeinsame Deutschlandpolitik war vorher schon sehr schwierig, nun durch die Währungsunion war sie de facto unmöglich geworden."

In der Nacht auf den 24. Juni blockieren die Sowjets alle Zufahrtswege in den Westteil. Dort gehen bald buchstäblich die Lichter aus. Denn 75 Prozent des Stroms liefert das Umland. Der Ostblock plant die Zermürbung der Bewohner, um die Alliierten aus der geteilten Stadt hinauszudrängen.

West-Berlin als Vorposten der Freiheit

Doch obwohl es um die Hauptstadt des früheren Feindes geht, halten die Alliierten die Stellung. Die USA sehen in West-Berlin auch einen Vorposten der Freiheit - ein Bollwerk gegen den Kommunismus. 

Die Zeit drängt, denn den West-Berlinern droht der Hungertod. US-Präsident Harry S. Truman beschließt in Absprache mit den Verbündeten eine spektakuläre Rettungsaktion: die Versorgung von zwei Millionen Menschen komplett aus der Luft - über die drei von der Sowjetunion zugesicherten Luftkorridore. Es gab keine Alternative zur Luftbrücke, sagt Bernd von Kostka. Der Plan sei aber zunächst "unvorstellbar" erschienen.

Am 26. Juni starten die ersten Maschinen der US-amerikanischen Luftwaffe von Frankfurt am Main und Wiesbaden aus zum Flughafen Tempelhof in Berlin. Schon bald fliegen die Transporter rund um die Uhr. Im 90-Sekunden-Takt starten und landen sie auf den Flughäfen Tempelhof im US-Sektor, Gatow im britischen Gebiet und von Dezember 1948 an auf dem von den Franzosen ausgebauten neuen Flughafen Tegel.

Berlin - Tempelhof 1948: Auf der Landebahn des Flughafens stehen mehrere Transportflugzeuge in einer Reihe.
Transportmaschinen warten am Flughafen Tempelhof auf ihre EntladungBild: picture-alliance/Everett Collection

Täglich benötigt der eingeschlossene Westteil Berlins im Durchschnitt mindestens 5000 bis 6000 Tonnen Lebensmittel und Kohle. Der Höhepunkt wird Mitte April 1949 erreicht. Innerhalb von 24 Stunden liefern rund 1400 Flüge fast 13.000 Tonnen Fracht. Die Piloten der Luftbrücke sind im Dauereinsatz. Oft übermüdet, riskieren sie ihr Leben, um die Stadt bei jedem Wetter anzufliegen. Einige Flugzeuge stürzen ab.

Schokolade und Kaugummis für die Kinder

Die Propellermaschinen, die von den Berlinern "Rosinenbomber" genannt werden, fliegen bei der Landung so tief über der Stadt, dass sich Besatzung und Einwohner zuwinken können. Einige Piloten werfen mit selbstgebastelten Fallschirmen Schokolade und Kaugummis für die Kinder ab.

Mit Beginn der Luftbrücke ändert sich das angespannte Verhältnis zwischen US-Streitkräften und den besetzten Deutschen. "Ein Freund bei den US-Besatzungstruppen erzählte mir, wenn sie vor der Luftbrücke in ein Restaurant gegangen seien, wären die Deutschen dort aufgestanden und gegangen, weil sie nichts mit ihnen zu tun haben wollten", berichtet der frühere US-Air-Force-Pilot Gail Halvorsen auf der Webseite "Gedächtnis der Nation" von der Stiftung Haus der Geschichte. "Aber nachdem wir anfingen, Lebensmittel nach Berlin zu fliegen, seien sie eingeladen worden. Das ist fantastisch. Aus Feinden wurden Freunde."

Gail Halvorsen in grüner Uniform streckt den Daumen lachend nach oben. Er steht vor einem silberglänzendem alten Propeller-Transportflugzeug.
Der mittlerweile verstorbene US-Luftwaffen-Veteran Gail Halvorsen, bekannt als "Candy Bomber", bei der Festveranstaltung zu 70 Jahre Berliner Luftbrücke auf dem US-Luftwaffenstützpunkt bei WiesbadenBild: Arne Dedert/dpa/picture alliance

Neben der logistischen Meisterleistung der Alliierten ist der Durchhaltewillen der Eingeschlossenen entscheidend. Auf der Multimediaseite vom Projekt "Gedächtnis der Nation" beschreibt der Schweizer Historiker Walther Hofer die Lage im Winter, "in der jeder Haushalt täglich nur eine Stunde lang Elektrizität hatte, weil man die Kohle für die Elektrizitätswerke heranfliegen musste. Das wechselte von Woche zu Woche, so dass man unter Umständen die einzige warme Mahlzeit morgens um ein Uhr kochen konnte. Von Heizen ist keine Rede gewesen. Das sind unglaubliche Entbehrungen gewesen, die die Bevölkerung auf sich genommen hatte."

Berlin - Kundgebung gegen Blockade 1948
Kundgebung auf dem Platz der Republik vor dem Reichstagsgebäude am 9. September 1948. Der Berliner Bürgermeister Ernst Reuter bittet in einer historischen Rede um Beistand für das eingeschlossene West-BerlinBild: picture-alliance/akg-images

Mit jedem Tag der Luftbrücke gewinnen die Westalliierten in der internationalen Öffentlichkeit an Sympathien, während die Sowjets im Ansehen sinken. Schließlich muss Stalin erkennen, dass er den Machtpoker nicht gewinnen kann. Nach 322 Tagen, am 12. Mai 1949, beendet er die Blockade. Bis dahin haben die Alliierten in rund 260.000 Flügen nach West-Berlin mehr als 2,1 Millionen Tonnen Versorgungsgüter befördert.

Stalins historische Fehlkalkulation

"Stalin erreichte das Gegenteil von dem, was er erreichen wollte. Nämlich, dass die Alliierten aufhören, einen westdeutschen Staat vorzubereiten. Er wurde umso rascher gebildet, die NATO wurde gebildet, die westliche Integration kam voran. Die Blockade West-Berlins durch Stalin ist eine der größten Fehlrechnungen, die ein Politiker jemals gemacht hat", urteilt der Historiker Walther Hofer.

Ein US-Veteran salutiert vor dem Denkmal der Berlin-Blockade, dass von den Berlinern  "Hungerkralle" genannt wird. Das Denkmal ist eine graue Betonplatte mit drei Stangen am Ende, die leicht gewölbt in den Himmel ragt.
Ein US-Veteran salutiert vor dem Denkmal der Berlin-Blockade, dass von den Berlinern "Hungerkralle" genannt wirdBild: picture-alliance/dpa/W. Kumm

Und die Deutschen fühlten sich wieder in die Wertegemeinschaft des Westens aufgenommen, erklärt Bernd von Kostka vom Alliiertenmuseum: "Sie haben die Alliierten dann nicht mehr primär als Besatzungsmächte empfunden, sondern eher als Schutzmächte."

Von Kostka sieht die Luftbrücke auch als Beispiel für die internationale Zusammenarbeit in heutigen Krisen- und Konfliktregionen: "Man hat gesehen, dass die Versorgung aus der Luft gut möglich ist. Und mit der Transportkapazität heutiger Frachtflugzeuge könnte man die Menge der Luftbrücke in einem Bruchteil der Flüge in jede beliebige Stadt auf der Welt bringen."

Ralf Bosen, Redakteur
Ralf Bosen Autor und Redakteur
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