Halbzeit für Olivia Mettang: Die kulturweit-Freiwillige fühlt sich in der neuen Umgebung und bei der Journalismusstiftung FPP zuhause. Und ist beeindruckt von der Kreativität und der Offenheit, trotz Einschränkungen.
In Bolivien ticken die Uhren anders, sagt Mettang. Und tatsächlich: Die Zeiger am Parlamentsgebäude laufen nach links
Vielleicht denkt Eddie, dass wir in Deutschland mit Raumschiffen zur Arbeit fliegen, während unsere intelligenten Häuser den Einkauf für uns erledigen. Vielleicht hat er auch einfach nur das Gefühl, dass ihn die Menschen in Deutschland nicht verstehen, dass er auf Leute treffen würde, die vollkommen anders sind als er selbst. Ich beuge beiden Befürchtungen vor, indem ich Eddie erzähle, dass Deutschland gar nicht so anders als Bolivien ist. Dass wir auch Grillfeiern veranstalten und Schlagzeug oder Gitarre spielen. Und während ich so rede, bemerke ich, dass mir das alles sehr bekannt vorkommt: Das Verbindende zwischen den Kulturen und Lebensformen war Thema auf dem kulturweit-Vorbereitungsseminar, das ich im März in Berlin besucht hatte.
Pädagogischer Lerndienst
Ich bin mit dem kulturweit-Programm in Bolivien, dem internationalen Freiwilligendienst der UNESCO-Kommission und des Auswärtigen Amts. Bei den Einsatzstellen handelt es sich um Einrichtungen oder Kooperationen der Partner von kulturweit. In meinem Fall ist das die DW Akademie. Ich bin eingesetzt in der Fundacíon para el Periodismo (Stiftung für den Journalismus, kurz FPP), deren Aufgabenspektrum sehr vielfältig ist: Es wird publiziert, kommuniziert und ausgebildet. Letzteres in Kooperation mit der DW Akademie, die hier gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) den Aufbau einer dualen Journalistenausbildung, die Educación Dual, unterstützt.
Gerade abgeschlossen: Auszubildende des ersten Jahrgangs der Educación Dual mit Olivia Mettang (rechts)
Die erste Seminarphase der Educación Dual ist gerade zu Ende gegangen. Ich war dabei, als die Edualeños - also die Volontäre der Journalistenausbildung - eine Kindernachrichtensendung produzierten, eine Plastikverarbeitungsanlage fotographierten, Tierschutzaktivistinnen interviewten und Diskussionen über journalistische Ethik im digitalen Zeitalter führten. Es ist beeindruckend, wie schnell hier gearbeitet wird: Ideen sind kaum gedacht und schon getwittert, Gesprächspartner werden über Facebook kontaktiert, ein Interview meist innerhalb der nächsten halben Stunde vereinbart. In der FPP laufen alle Fäden zusammen: Sie stellt die Räumlichkeiten, kommuniziert mit den Ausbildern, ist mit der Planung, Ausführung und Evaluation des Projekts betraut. Hier stehe ich mit Recherche und Protokollführung unterstützend zur Seite. Außerdem kümmere ich mich um den Internetauftritt der FPP.
Kunst als Protest
Seit der erste Jahrgang abgeschlossen hat und die Educación Dual pausiert, mache ich Fotos. Von Minibussen und Blumenständen, von Flussläufen und Graffiti-Kunstwerken auf Häuserdächern. "Weiß jemand, wer diese Dächer bemalt hat?", frage ich auf Facebook und poste eines meiner Fotos. Die Edualeños kommentieren, es handele sich dabei um ein stadtweites Projekt. Am Nachmittag sitze ich mit der Initiatorin der Initiative vor der architektonischen Fakultät und lasse mir erklären, warum die Dächer von La Paz nun bunte Motive tragen: Es handelt sich um einen künstlerischen Protest gegen Reklametafeln, gegen die urbane "contaminación visual". Die FPP wird meine Fotoreportage in einem Zeitschriften-Spezial über La Paz veröffentlichen.
Das ist nicht der einzige Protest. Die Zeiger der Uhr am Parlamentsgebäude laufen nach links – ein symbolisches Bild dafür, wie Bolivien versucht, "anders zu ticken" und sich von kolonialem Import des Uhrzeigersinns zu emanzipieren. In Bolivien gibt es Kinderarbeit, Korruption, Kokain- und Menschenhandel. Es gibt Gesetze, die die Pressefreiheit einschränken und Tageszeitungen, die weit entfernt von unabhängiger Berichterstattung sind. Aber es gibt auch Kindernachrichtensendungen, Plastikverarbeitungsanlagen, Tierschutzaktivistinnen, Twitter und Facebook. Projekte gegen visuelle Raumverschmutzung. Und Leute wie Eddie, mit denen ich über das Verbindende zwischen den Kulturen sprechen und dabei mehr lernen kann, als es von Deutschland aus je möglich wäre.