Internationaler Tag gegen Straflosigkeit für Verbrechen an Journalisten: der Fall Georgien | Europa/Zentralasien | DW | 05.11.2024
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Europa/Zentralasien

Internationaler Tag gegen Straflosigkeit für Verbrechen an Journalisten: der Fall Georgien

In Georgien häufen sich Berichte von Einflussnahme und physischen Angriffen auf Journalisten, besonders unabhängige Medien stehen unter Druck. Die DW Akademie und ihre Partner bieten Unterstützung und Rechtshilfe an.

Am 23. Januar 2024 wurde das Haus von Familie Khatiashvili zwangsgeräumt. 2008 hatte die Familie mit ihrer Bank einen Langzeitkredit abgeschlossen. Nach Verzögerungen bei der Rückzahlung leitete die Bank rechtliche Schritte ein.  

Der Journalist Giorgi Arobelidze vom georgischen Medium Mautskebeli Media war an diesem Tag vor Ort, um über das Geschehen zu berichten. Doch die Polizei behinderte ihn und seine Kolleginnen und Kollegen bei der Berichterstattung. Obwohl sie ihre Presseausweise zeigten, wurden sie verbal und körperlich angegriffen. Dabei wurden auch Teile ihrer Ausstattung beschädigt.   

"Wir berichteten live über die Zwangsräumung", erinnert sich Arobelidze. "Die Polizei ging gezielt auf uns los und setzte Gewalt ein, um die Berichterstattung zu stoppen. Dies war bereits der fünfte Versuch, das Haus zu räumen. Die Polizei versuchte, die versammelte Menschenmenge auseinander zu treiben. Dabei wurden zwanzig Personen verhaftet, zwei von ihnen wurden später angeklagt." 

Georgien Tiflis 2024 | Zwangsräumung der Familie Khatiashvili

Am 23 Januar 2024 wurde das Haus von Familie Khatiashvili in Tiflis zwangsgeräumt

Laut Arobelidze werden Journalistinnen und Journalisten in Georgien regelmäßig während ihrer Arbeit bedroht, wenn sie über sensible gesellschaftliche Themen berichten. Dabei wenden die Behörden oft übermäßige Gewalt an. 

"Wir berichten schon seit längerem über Zwangsräumungen, und in fast allen Fällen griff die Polizei sowohl Familienmitglieder als auch Journalistinnen und Journalisten an", sagte Arobelidze.  

Da Zwangsräumungen von Familien häufig auf großes gesellschaftliches Interesse stoßen, habe sich die Staatsanwaltschaft auf die Seite der betroffenen Journalistinnen und Journalisten gestellt, ohne dabei jedoch die Täter zur Rechenschaft zu ziehen.  

Der Vorfall ist keine Ausnahme. Die Organisation Reporter ohne Grenzen beobachtet seit einigen Jahren eine wachsende Anzahl von Angriffen gegen Medien in Georgien und beschreibt die Haltung der Behörden als feindselig, vor allem gegenüber unabhängigen und oppositionellen Medien. Eine aktuelle Studie des Center for Media, Information and Social Research stützt diese Beobachtung. 

Arobelidzes Geschichte ist einer von insgesamt 40 Fällen, mit denen sich das georgische Human Rights Center (HRC) aktuell beschäftigt.  

Seit zwei Jahren arbeitet das HRC zusammen mit der DW Akademie und setzt sich für kostenlose Rechtshilfe für Journalistinnen und Journalisten ein. Ihre Anwälte arbeiten in Gori, Kutaisi und Tiflis.  

Rechtshilfe und der Kampf um Anerkennung des Opferstatus 

Aleksi Merebashvili ist einer von drei Menschenrechtsanwälten des HRC. Er lebt in Gori, wo seine Organisation die meisten ihrer Fälle bearbeitet. Laut Merebashvili beschäftigen sich die meisten davon mit Behinderung der journalistischen Arbeit durch Behörden oder Einzelpersonen. Sie alle stünden in Verbindung mit der Regierungspartei "Georgischer Traum".  

Georgien I Proteste

Journalistinnen und Journalisten demonstrieren im georgischen Parlament nach dem Tod von Kameramann Lekso Lashkarava, ein weiterer Fall von Gewalt gegen Medienschaffende

Merebashvili beschreibt in vielen Fällen langwierige Ermittlungen, die am Ende oft ins Leere liefen. In einigen Fällen konnten die Behörden die Schuldigen hinter den Bedrohungen ausfindig machen, meist würden sie dennoch nicht belangt.  

All das führt zu einem Verlust des öffentlichen Vertrauens, und viele Journalistinnen und Journalisten fühlen sich schutz- und machtlos. 

"Was wir bisher erreichen konnten, ist die Anerkennung des Opferstatus für einige unserer Journalistinnen und Journalisten", sagte Merebashvili.

Von insgesamt 40 Fällen, mit denen sich das HRC derzeit beschäftigt, haben 15 Medienschaffende inzwischen einen Opferstatus erlangt. Erst dann erhalten die Anwälte Einsicht in wichtige strafrechtliche Unterlagen und können bei der Staatsanwaltschaft Beschwerde einlegen. Obwohl Anwälte auch in einigen anderen Fällen Akteneinsicht haben, bietet der Opferstatus eine bessere Ausganslage für das Sammeln von Beweisen.  

Ein weiteres Beispiel zeigt deutlich, in welche bedrohliche Situationen Medienschaffende in Georgien geraten können: Eines Tages klingelte das Telefon eines Journalisten. Der Anrufer, ein Vertreter der regierenden politischen Partei, drohte damit, ihn zu ermorden. Grund war ein kritischer Videobeitrag, der im Internet kursierte.  

Für diesen Journalisten konnte Aleksi Merebashvili Opferstatus erreichen.  

"Der Journalist handelte klug und zeichnete das Telefongespräch auf. Das Büro der Staatsanwaltschaft konnte so die Stimme des Täters identifizieren", sagte Merebashvili. "Obwohl wir wissen, dass sowohl das Büro für Sonderermittlungen als auch die Staatsanwaltschaft den Täter ausmachen konnten, erschwert ihre Nähe zur Regierung die Strafverfolgung sehr. Sie lassen uns den Fall nicht weiterverfolgen."  

Die einzig verbliebene Möglichkeit sei eine Anklage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Das HRC hat dort bereits drei Fälle eingereicht.   

"Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat uns inzwischen zu zwei unserer Fälle kontaktiert, das ist ein nennenswerter Erfolg für uns", sagte Giorgi Kakubava, Projekt Manager beim HRC. 

Die Pressefreiheit weiter schützen 

Das Ergebnis der kürzlich durchgeführten Parlamentswahlen in Georgien, bei denen die regierende Partei Georgischer Traum mit knapp über 54% zum Sieger erklärt wurde, legt nahe, dass die Angriffe gegenüber Medienschaffenden im Land weiter anhalten werden.   

"In unserem Land versuchen Mitglieder der politischen Elite ständig, die Medien in der Öffentlichkeit zu diskreditieren. Das schürt Aggression gegenüber Journalistinnen und Journalisten weiter", sagte Giorgi Arobelidze.

In ihrem Bericht Media Environment of Georgia aus dem Jahr 2023 gab das HRC Empfehlungen, wie Journalistinnen und Journalisten und Medien sich gegen gezielte Angriffe schützen können. Dazu gehört das öffentliche Bewusstsein für dieses Thema zu schärfen, Sicherheitspläne, Präventionsmaßnahmen und Gegenreaktionen sowie Sicherheitstrainings für Medienhäuser und unabhängige Journalistinnen und Journalisten zu entwickeln.  

Der Schutz von Medien ist essentiell für die Demokratie und daher auch Kern der Partnerschaft zwischen HRC, der Media Development Foundation und der DW Akademie im Projekt „Quality Media and Conscious Media Consumption of Resilient Society“ (ConMeCo), das von der Europäischen Union finanziert wird. 

"Die Rechte aller Journalistinnen und Journalisten müssen geschützt werden. Als Menschenrechtsorganisation unterstützen wir all diejenigen, die bedroht werden und von den Strafverfolgungsbehörden unter Druck gesetzt werden", sagte Giorgi Kakubava. "Durch das Projekt erhalten sie Zugang zu kostenloser Rechtshilfe".   

Das Projekt endet im Januar, doch Kakubava ist optimistisch, dass er und seine Kolleginnen und Kollegen auch langfristig ihrer Arbeit nachgehen und die 40 Fälle weiter betreuen können.   

"So lange, wie die Partei Georgischer Traum an der Regierung ist", sagte er, "erwarten wir viele weitere Fälle. Journalistinnen und Journalisten werden oft als Feinde wahrgenommen, wenn sie kritische Fragen stellen oder über Proteste berichten. Es ist ein feindliches Klima, das viele veranlasst, ihren Beruf zu wechseln oder das Land zu verlassen. Aber unsere Hotline ist 24/7 erreichbar und unsere Menschenrechtsanwälte sind bereit, um unmittelbar zu helfen." 

 

Das Projekt "Quality Media and Conscious Media Consumption of Resilient Society"(ConMeCo) wird umgesetzt von der DW Akademie zusammen mit der Media Development Foundation (MDF) und dem Human Rights Center (HRC), finanziert von der Europäischen Union und co-finanziert vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ).  

Der Inhalt dieses Artikels liegt in der alleinigen Verantwortung der DW Akademie und spiegelt nicht unbedingt die Meinung der Europäischen Union und des BMZ wider. 

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