Ex-Kämpfer auf den Philippinen: "Die Angst ist jetzt weg." | Asien | DW | 04.05.2021
  1. Inhalt
  2. Navigation
  3. Weitere Inhalte
  4. Metanavigation
  5. Suche
  6. Choose from 30 Languages

Asien

Ex-Kämpfer auf den Philippinen: "Die Angst ist jetzt weg."

Nach Jahrzehnten militärischer Auseinandersetzungen sollen auf der philippinischen Insel Mindanao rund 40.000 Aufständische der muslimischen Minderheit entwaffnet werden. Ehemalige Kämpfer berichten über die Situation.

Philippinen | Entwaffnung ehemaliger Kämpfer der Moro Islamic Liberation Front

Der Friedensberater des philippinischen Präsidenten, Sec. Carlito Galvez (rechts), inspiziert zusammen mit dem Vorsitzenden der Moro Islamic Liberation Front (MILF), Ahod Ebrahim, einen Teil der Waffen, die ehemalige Kämpfer der MILF niederlegt haben.

Ebrahim D.C., 61 Jahre alt und achtfacher Vater, erinnert sich vor allem an die Angst. Viele Jahre seines Lebens verbrachte er in einem Versteck in den Bergen. Zuerst als 14-Jähriger, in den 1970er Jahren. Damals eskalierte auf der Insel Mindanao der Konflikt zwischen der Zentralregierung der überwiegend katholisch geprägten Philippinen und großen muslimischen Widerstandsgruppen: der Moro National Liberation Front (MNLF) und der daraus abgespaltenen Moro Islamic Liberation Front (MILF).

Philippinen Insel Mindanao Projekt Entwaffnung ehemaliger Kämpferinnen und Kämpfer der Moro Islamlic Liberation Front

Ebrahim trat mit 16 Jahren der MILF bei

Man musste damals jederzeit damit rechnen, willkürlich von Soldaten festgenommen zu werden, berichtet Ebrahim. Deshalb habe er sich als 16-Jähriger dem bewaffneten Arm der MILF angeschlossen. Später, nach seiner Heirat in friedlicheren Jahren, konnte er zwischen der Familie und einem MILF-Camp pendeln. Doch nachdem Soldaten im Jahr 2000 das Camp stürmten, gingen Kämpfer wie er für viele Jahre zurück ins Versteck. "Die Wahrheit ist: Es war sehr hart", sagt der 61-Jährige heute.

Brücken schlagen, Mut machen

Ebrahim erzählt seine Geschichte im Interview mit dem Radiosender DXMS in Cotabato. Die Sendung ist Teil des Projekts "Konflikttransformation auf den Philippinen", das die Organisation Nonviolent Peaceforce (NP) mit Unterstützung der DW Akademie auf Mindanao umgesetzt hat. "Wir wollen ehemaligen Kämpferinnen und Kämpfern die Möglichkeit geben, über sich persönlich zu sprechen", sagt NP-Projektmanager Marlon Dedumo. "Das Menschliche soll erkennbar sein, ihre Hoffnungen und Wünsche."

Damit können Brücken zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen geschlagen werden. Vor allem aber sollen die Interviews anderen Kämpferinnen und Kämpfern Mut machen, ihre Waffen niederzulegen – so wie Ebrahim.

Mehr Selbstbestimmung statt bewaffnetem Kampf

Die Entwaffnung von rund 40.000 Kämpferinnen und Kämpfern auf Mindanao ist ein wichtiger Teil des Friedensabkommens zwischen der aufständischen MILF und der Regierung in Manila. Es wurde 2019 durch eine Volksabstimmung auf Mindanao in Kraft gesetzt. Im Gegenzug für die Entwaffnung bekommt ein Teil der Insel mehr Unabhängigkeit und Selbstbestimmung: die Autonome Region Bangsamoro (BARMM). Hier soll 2022 die amtierende Übergangsregierung von einer gewählten Regierung abgelöst werden.

Philippinen | Entwaffnung ehemaliger Kämpfer der Moro Islamic Liberation Front

Eine Gruppe von MILF-Kämpfern, die sich dem vom Independent Decommissioing Body (IDB) geleiteten Entwaffnungsprozess unterziehen. Alle ehemaligen Kämpfer erhalten ein finanzielles und sozioökonomisches Hilfspaket, damit sie und ihre Familien ein friedliches ziviles Leben führen können.

Damit soll ein Konflikt enden, der schon mit den spanisch-christlichen Kolonisatoren begann und sich seit den 1970er Jahren verschärfte. Jahrzehntelang kam es zu Auseinandersetzungen zwischen der Armee, muslimischen Rebellen, kommunistischer Guerilla, regionalen Familienclans, Indigenen und islamistischen Terrorgruppen, darunter der Islamische Staat (IS) und Abu Sayyaf. Mindestens 150.000 Menschen starben, mehrere Millionen wurden zu Vertriebenen.

Hinter dem religiös-ethnischen Konflikt liegt ein erbitterter Kampf um Land und wirtschaftliche Ressourcen sowie soziale und kulturelle Anerkennung. Fruchtbares Land ist heute zu großen Teilen im Besitz von nicht-muslimischen Siedlern aus anderen Landesteilen, während die Hälfte der Muslime unterhalb der Armutsgrenze lebt.

Konfliktsensibel berichten besonders in Corona-Zeiten

Ob der jüngste Friedensschluss hält, muss sich zeigen. Gewaltsame Angriffe von islamistischen Gruppen, die nicht in das Abkommen einbezogen sind, sowie Scharmützel verfeindeter Familien gibt es immer noch. In dieser Situation können Medien entscheidend zur Deeskalation und zum Dialog beitragen. Doch sie stehen unter Druck, wegen der Corona-Pandemie, aber auch wegen wegbrechender Einnahmen durch wachsende Konkurrenz aus dem Internet sowie harten Maßnahmen bis hin zu Gewalt durch politische Gegner.

Philippinen Insel Mindanao Projekt Entwaffnung ehemaliger Kämpferinnen und Kämpfer der Moro Islamlic Liberation Front

Insgesamt 30 Journalistinnen und Journalisten wurden in konfliktsensibler Berichterstattung fortgebildet.

"Trotzdem ist es sehr wichtig, die polarisierende Berichterstattung zu überwinden und alle Seiten zu beleuchten, auch die, die man nicht sofort sieht", sagt Andrea Marshall, Projektleiterin bei der DW Akademie. Deshalb wurden insgesamt 30 Journalistinnen und Journalisten in konfliktsensibler Berichterstattung fortgebildet.

Die Radiosender DXMS Cotabato und DXIC Iligan entwickelten Formate für die Sendungen mit Ex-Kämpferinnen und Ex-Kämpfern und organisierten Dialogforen zum Friedensprozess. Aufgrund der Pandemie gab es zahlreiche Restriktionen, verschiedene Teile des Projekts mussten daher online umgesetzt werden.

Startkapital für den Neuanfang

Nun kommt es entscheidend darauf an, die ehemaligen Kämpferinnen und Kämpfer erfolgreich ins Zivilleben zu integrieren. Die Regierung zahlt dafür eine einmalige finanzielle Unterstützung, zudem ist ein Hilfspaket für Bildung und Wohnen angekündigt. Die Nonviolent Peaceforce und andere Organisationen helfen bei der Eingliederung.

Wie die aussehen kann, erzählt einer der Ex-Kombattanten im Radio-Interview: Er habe sich mit der finanziellen Hilfe bereits eine Kuh gekauft und ein Stück Land geleast. Das sei sein Startkapital, nun hoffe er darauf, ein eigenes Haus bauen zu können. Ein 24-jähriger Ex-Kämpfer berichtet, er habe als Security Guard gearbeitet und wolle jetzt gerne Polizist werden. Eine langjährige Kämpferin der weiblichen Brigade (Bangsamoro Islamic Women‘s Auxiliary Brigade) wünscht sich, dass es zukünftig mehr bezahlte Arbeit für Frauen gibt.

Für Ebrahim D.C. ist es besonders wichtig, dass die Regierung ihn nun als friedlichen Bürger sieht und dass seine Enkelkinder zur Schule gehen können. Doch das Beste im neuen Zivilleben, da sind sich alle einig, ist eines: „Die Angst ist jetzt weg.“ 

 

Das Projekt „Konflikttransformation auf den Philippinen“ wurde mit Mitteln des Auswärtigen Amts gefördert.

Die Redaktion empfiehlt