Ein Projekt der DW Akademie in Bhutan fördert die Zusammenarbeit innerhalb der Zivilgesellschaft, die Ausbildung von Medienschaffenden und den Dialog mit Jugendlichen
Als Tashi Chhozom im August 2012 zur Richterin des Obersten Gerichtshofs von Bhutan ernannt wurde, hatte sie bereits 17 Berufsjahre hinter sich. Sie hatte zunächst als Ausbildungsbeauftragte, dann als stellvertretende Richterin und später als Bezirksrichterin Karriere gemacht. Zum Zeitpunkt ihrer Ernennung war sie die jüngste Richterin am Obersten Gerichtshof und vor allem die erste Frau in diesem Amt.
In ihrer Generation waren Frauen, die eine Karriere im öffentlichen Dienst anstrebten, noch die Ausnahme. Doch das hat sich geändert.
"Als ich ernannt wurde, war ich die einzige weibliche Kandidatin", erinnerte sich Chhozom am Rande eines Workshops für Parlamentsmitglieder in Thimphu. "Doch vor allem im Justizwesen gibt es inzwischen viele Bewerberinnen. Heute sind etwa 20 Prozent der Richterschaft weiblich."
Bei der Veranstaltung, die von der DW Akademie und dem Bhutan Centre for Media and Democracy (BCMD) organisiert wurde, sprachen bhutanischen Abgeordnete und Behördenvertretern über Inklusion und Mitbestimmung. Der Workshop war Teil des Projekts „Aufbau einer inklusiven Demokratie: Zivilgesellschaft, Abgeordnete, Medien und Jugendliche stärken gute Regierungsführung in Bhutan“. Das dreijährige Projekt wird zum Teil von der Europäischen Union finanziert und fördert sowohl die Zusammenarbeit zwischen zivilgesellschaftlichen Akteuren als auch die Ausbildung von Medienschaffenden, den Dialog mit der Jugend und den internationalen Austausch.
Chhozom nahm an dem Workshop als "hochrangiges Mitglied" des bhutanischen Nationalrats teil. Neben den 20 gewählten Vertretern des Oberhauses werden in Bhutan fünf "herausragende Mitglieder" direkt vom König ernannt. Chhozom wurde das Amt im Jahr 2023 übertragen.
Tashi Chhozom, eine erfahrene Richterin und bhutanische Spitzenpolitikerin, spricht auf dem Workshop in Thimphu.
Bhutan, das kleine "Land des Donnerdrachens", steht in krassem Gegensatz zu seinen nächsten Nachbarn China, Indien, Nepal oder Bangladesch. Thimphu, die bevölkerungsreichste Stadt des Landes, ist beispielsweise die einzige Hauptstadt der Welt ohne eine einzige Ampel. Die verkehrsreichste Kreuzung der Stadt wird immer noch immer von einem Polizisten geregelt, der den Verkehr mit weißen Handschuhen und ausladenden Handbewegungen dirigiert. Das ist offenbar alles, was die 114.000 Einwohner an Verkehrsregelung brauchen.
Das Land ließ erst 1974 die ersten ausländischen Touristen ins Land. Fernsehen und Internet wurden 1999 eingeführt. Mit einer Bevölkerung von deutlich unter einer Million ist Bhutan auch das einzige Land der Welt, das seinen Fortschritt und Erfolg nicht am Bruttoinlandsprodukt (BIP), sondern am Bruttonationalglück misst. Weniger als 20 Jahre nach Einführung der parlamentarischen Demokratie im Jahr 2008 ist Bhutan heute die einzige liberale Demokratie in Süd- und Zentralasien, einer Region, in der 93 Prozent der Menschen in Wahlautokratien leben, wie die Demokratiemessungen des V-Dem-Instituts zeigen.
Diese Entwicklung ist kein Zufall, sondern gewollt. Als Bhutans fünfter Monarch, der "Druk Gyalpo" (auf Deutsch: Drachenkönig) Jigme Khesar Namgyel Wangchuk, den Thron bestieg und kurz darauf demokratische Wahlen und ein Zweikammerparlament einführte, wurden zunächst Übungswahlen mit Oberstufenschülern als Kandidaten durchgeführt.
"Das Verständnis für die Bedeutung von Bürgerrechten und Demokratie war ein Wandel, der sehr schnell und reibungslos vonstattenging", berichtet Birendra Chimoria, Mitglied des Nationalrats und Vertreter des Bezirks Dagana Dzongkhag. "Das Grundverständnis für Demokratie wird bereits in den Schulen vermittelt. Wir haben Demokratieclubs, in denen Jungen und Mädchen den Prozess der Demokratie, den Prozess der Stimmabgabe und den Prozess der Meinungsäußerung lernen. Es ist wichtig für unsere Zukunft, dass die Jugend das Wesen der Demokratie versteht."
Tashi Chhozom, eine erfahrene Richterin und bhutanische Spitzenpolitikerin, spricht auf dem Workshop in Thimphu.
Allerdings gibt es in Sachen Inklusion und Gleichstellung noch einiges zu tun, zumindest in einigen Bereichen, so Chhozom.
"Wir haben nur zwei weibliche gewählte Mitglieder in der Nationalversammlung und nur eine Frau als gewähltes Mitglied im Nationalrat", sagte sie.
Diesen Widerspruch wollen Bhutans Gesetzgeber nicht nur erforschen, sondern auch für künftige Generationen verbessern, um Chancengleichheit für alle zu schaffen.
"Seit Einführung der Wahldemokratie haben sich die Regierungsführung und Politikgestaltung in Bezug auf die Beteiligung und den Austausch zwischen den verschiedenen Akteuren gut entwickelt", bilanzierte Tandin Wangmo, ein langjähriger ehemaliger Regierungsbeamter und derzeitiger Direktor des Bhutan Centre for Media and Democracy (BCMD). "Wir glauben, dass unser Projekt nicht nur die Zusammenarbeit der verschiedenen Interessengruppen verbessern, sondern auch neue Lücken identifizieren kann, die geschlossen werden müssen, um die Demokratie und Regierungsführung in Bhutan angesichts neuer Bedarfe und Herausforderungen zu stärken."
Das Projekt "Aufbau einer inklusiven Demokratie: Zivilgesellschaft, Abgeordnete, Medien und Jugendliche stärken gute Regierungsführung in Bhutan" startete im Februar 2024 und ist auf drei Jahre ausgelegt. Es wird von der Europäischen Union kofinanziert und gemeinsam von der DW Akademie und dem Bhutan Centre for Media and Democracy umgesetzt.